Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
fortgegangen. «
Der Zorn rollte wie eine riesige, übermächtige Welle durch Adelinds Körper, ließ sie vergessen, wer sie war und wo sie sich befand. Ihre Hände wurden zu Fäusten und gingen auf Hildegards schmächtigen Körper nieder, missachteten das empörte Miauen von Lutz, der entsetzt aus dem Zimmer flüchtete, ebenso wie die schreckgeweiteten, kristallklaren Augen ihrer Schwester. Erst als sie Hildegard laut aufschreien hörte, erstarrte sie und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Selbst wenn sie Hildegard nun so lange schlug, bis kein Funken von Kraft mehr in ihren Armen steckte, änderte sich nichts an dem, was geschehen war.
» Du bist jetzt sehr aufgebracht. Lass uns morgen darüber reden. Dieser Tag war für uns alle sehr anstrengend « , flüsterte Hildegard. Adelind überwand mühsam den Drang, ihr eine weitere Ohrfeige zu verpassen.
» Wie wusstest du von dem Muttermal an seiner Schulter? «
Sie staunte, wie ruhig sie zu reden vermochte. Hildegard schien dadurch etwas beruhigt, denn sie rollte sich wieder herum und antwortete ohne Zögern:
» Ich sah ihn einmal zufällig mit Marcia. Das war kurz vor Monpeslier, als ich nachts aus dem Wagen klettern musste, um… um… du kannst dir schon denken was. Es war mondhell, und sie hatten sogar einen Kienspan mitgenommen. Eine Weile redeten sie nur, aber dann begann diese Marcia ihn zu umschmeicheln wie eine hungrige Katze, und er ließ zu, dass sie ihn auszog. Ich wollte fortlaufen. Doch dann hätten sie mich vielleicht bemerkt, und das wäre höchst unpassend gewesen. Er schnaufte wie ein Stier, als er es mit ihr trieb, es war widerlich. Allein die Vorstellung, dass er ähnliche Dinge mit dir tun würde! Ich konnte es nicht ertragen! «
Nun war Hildegards Stimme laut geworden. Ihre Augen hingen an Adelinds Gesicht und flehten um Verständnis.
» Bedenke doch, dass alles gut für uns ausging. Wir führen ein gottgefälliges Leben in der domus. Du hast hier großartige Dinge geleistet und wirst dafür geachtet. «
» Es ist nicht das Leben, das ich wirklich wollte « , erwiderte Adelind ohne Zögern. » Ich hatte meine Entscheidung getroffen, doch du raubtest mir das Recht, frei zu wählen. Wir hätten den Rest unseres Lebens verbunden bleiben können, du und ich, aber damit ist es nun vorbei. «
Sie stand auf, um ihren Worten mehr Gewicht zu verleihen. Hildegard blickte nun wirklich verängstigt zu ihr hoch, doch vermochte das unglücklich flehende Gesicht ihrer Schwester Adelind nicht mehr zu erweichen. Sie hatte eine ihr völlig unbekannte Person entdeckt, die sich hinter dieser lieblichen Miene verbarg.
» Wenn diese Gefahr, die uns nun allen droht, vorbei ist und falls wir dann noch am Leben sind, dann werde ich losziehen und Peyres suchen. Ich werde ihn fragen, ob er mich noch will. Aber ganz gleich, welche Entscheidung er auch fällt, an deiner Seite werde ich nicht mehr leben wollen, denn verzeihen kann ich dir nicht. «
Hildegard schluchzte auf, streckte dann um Versöhnung flehende Hände nach ihr aus, doch Adelind ließ sie ins Leere greifen.
» Sag doch so etwas nicht! Du bist aufgebracht. Dieser Tag war die Hölle für uns alle « , sagte Hildegard bemüht ruhig, obwohl die unterdrückte Tränenflut sie mühsam nach Luft schnappen ließ.
» Damit hat es nichts zu tun. Lass mich in Frieden, denn ich brauche tatsächlich Schlaf. «
Adelind legte sich an die Kante des Bettes, so weit wie nur möglich von der schluchzenden Hildegard entfernt. Auf einmal war sie dankbar, vom Morgengrauen an geschuftet zu haben, denn so gelang es ihr, sehr schnell in einen steinernen Schlaf zu fallen.
Bereits im Morgengrauen wurden sie von lautstarkem Klopfen an der Tür geweckt. Adelind erhob sich mit heftigen Kopfschmerzen, fast als hätte sie am Abend zuvor mehrere Becher Wein geleert. Als sie sich zur Tür bewegte, fühlte ihr Körper sich völlig zerschlagen an. Durch den Schlaf war sie noch müder geworden als zuvor. Hinter ihr regte sich Hildegard.
» Wer ist es? « , fragte sie gähnend. Adelind befand diese Frage als bemerkenswert dumm, denn sie selbst wusste nicht, wer da so früh klopfte. Nun öffnete sie die Tür. Vor ihr stand Mabile, nur in ihrem Untergewand und ohne Schleier, sodass goldbraune Wellen über ihre Schultern fielen. Sie hatte niemals bemerkt, wie hübsch dieses einstige Bettlerkind war. Hinter Mabile entdeckte sie eine weitere Gestalt, doch dauerte es eine Weile, bis sie das schmächtige Knabengesicht einer Erinnerung
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