Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
zuordnen konnte.
» Marcia ist tot « , sagte der Junge, der sie von Bezers aus in einer Karre geschoben hatte. Mabile nickte und fügte hinzu: » Außerdem sind noch drei Leute gestorben. Zwei alte Männer und ein Kind. Doch der Knabe, dessen Bauch Ihr vernäht habt, der lebt noch und hat auch kein Fieber mehr. «
Adelind starrte fassungslos von einem Gesicht zum nächsten. Wie kam es, dass diese Kinder sich gewissenhafter um die Kranken kümmerten als sie selbst?
» Wir müssen die Leichen fortschaffen « , hörte sie Hildegard sagen und staunte über deren Nüchternheit. » Der katholische Pfarrer der benachbarten Kirche war stets einverstanden, dass wir unsere Toten auf seinem Friedhof beigesetzt haben, denn auf unserem eigenen dürfen nur geweihte Perfachs begraben werden. «
Adelind wandte sich um und suchte ihren Schleier, danach ihre Sukenie. Hildegard erinnerte sie daran, dass sie dieses Kleidungsstück gestern in Fetzen gerissen hatte. Sie seufzte. Die Schwester völlig zu ignorieren, wie sie es sich vorgenommen hatte, war angesichts der Umstände sehr schwierig.
» Hier, nimm meine « , bot Hildegard sich auch schon an. » Du musst die Verstorbenen wegbringen lassen. «
Adelind nahm das Angebot an, denn jedes andere Verhalten wäre lächerlich gewesen. Dann stieg sie mit Mabile und dem Jungen die Stufen hinab, um das Spital aufzusuchen. Sie hatte bereits einige Tote zu Gesicht bekommen, aber niemals Menschen, die lebendig und gesund Teil ihres eigenen Lebens gewesen waren. Marcia sah nicht wirklich anders aus als am gestrigen Abend. Mit dem Tod verließ die göttliche Seele den vom Teufel geschaffenen Körper, verwandelte ihn dadurch in eine erschlaffte Hülle, die an einen mit Getreide gefüllten Sack erinnerte. Adelind stieß einen leisen Schrei des Entsetzens aus, dann schossen ihr Tränen in die Augen.
» Sie wusste, dass sie sterben würde « , murmelte der unbekannte Junge in ihrem Rücken. » Sie wollte nur noch hierher. «
Adelind krümmte sich und schrie nochmals, diesmal deutlich lauter. Sie wusste nicht, woher all dieser Schmerz in ihr kam, denn sie hatte die lebende Marcia niemals besonders leiden können. Als sie Hildegards Arm an ihren Schultern spürte, vermochte sie die Berührung nicht abzuschütteln, hielt ihr Gesicht aber abgewandt.
» Ich kümmere mich um die Beisetzung der Toten, wenn euch das recht ist « , erklang Rosas Stimme im Hintergrund. » Ich wollte ohnehin die domus unserer Brüder aufsuchen, um Neuigkeiten zu erfahren. «
Adelind richtete sich mühsam auf. Rosas Gefühlskälte hatte manchmal wirklich Vorteile.
» Gut, dann sorge dafür, dass sie abgeholt und angemessen beigesetzt werden. Ich versorge indessen die Lebenden. «
Der Entschluss ließ neue Energie durch ihren Körper fließen. Sie wandte sich um und betrachtete all die auf Betten, Matten und Strohsäcken ruhenden Körper. Das Stöhnen hatte bereits nachgelassen. Manche schliefen noch friedlich, andere starrten mit wachen, lebenshungrigen Augen in die Welt. Mit etwas Glück konnte sie es vielleicht schaffen, alle der noch übrigen Verletzten zu retten.
» Bald schon sind wir alle tot. Das Heer steht kurz vor Carcassona « , erklang es in ihrem Rücken.
Adelind zuckte zusammen. Sie drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, und erblickte das Gesicht des Jungen. Er war auch nach einer vollen Mahlzeit noch sehr blass. Die dunklen Schatten unter seinen Augen ließen ihn uralt wirken wie einen heidnischen Wahrsager. Ihr wurde kalt.
» Samuel hat Schlimmes erlebt, Dòna. Bitte verzeiht ihm, was er sagt « , hörte sie Mabile murmeln. Der Junge trat einen Schritt näher an die einstige Bettlerin heran, als wünsche er, sich an ihr anzulehnen, wagte es aber nicht.
» Wir sollten alle erst einmal das Morgenmahl zu uns nehmen, um Kraft für diesen Tag zu haben « , schlug Hildegard vor. Wieder war Adelind ihr fast dankbar.
» Haben wir noch genug Vorräte? « , wandte sie sich an Mabile, die sofort loslief, um nachzusehen.
» Es wird knapp, Dòna. Seit gestern sind wir ja plötzlich viel mehr Leute. Ich wecke Olivette, und dann gehen wir zum Markt. Dabei erfahren wir auch, was die Leute in der Stadt so reden. «
Wieder eilte sie die Treppen hoch, um kurz darauf mit einer erschöpft gähnenden Olivette zurückzukehren, die aber beteuerte, sich schon viel besser zu fühlen als gestern. Hildegard brachte ein paar Körbe und bot sich an, ebenfalls mit zum Einkauf zu kommen, um beim Tragen
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