Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
zu helfen. Adelind verabschiedete ihre drei sociae, holte dann Ursanne, um sie durchs Spital zu führen. Nach ihrer Anleitung untersuchte sie Wunden, wechselte Verbände und mischte Salben, bis Hildegard wieder mit ihrer Gefolgschaft zurückkehrte. Die mitgebrachten Nahrungsmittel wurden den Helferinnen in der Küche übergeben, und bald darauf stand die übliche Gemüsebrühe im Gemeinschaftssaal auf dem Tisch. Als Ursanne das Brot brach und das Paternoster sprach, schien es Adelind plötzlich wie ein ganz gewöhnlicher Tagesanbruch in der domus. Nur der blasse, mürrisch schweigsame Junge in ihrer Runde war ungewöhnlich. Er hatte das ihm gereichte Brotstück zwar angenommen, sich aber nicht am Gebet beteiligt.
» Er ist Jude, Dòna « , flüsterte Mabile ihr zu, als fühle sie sich genötigt, diesen Umstand zu erklären. Adelind nahm dies ohne echtes Erstaunen zur Kenntnis. Man ging hierzulande weitaus gelassener mit Juden um als in ihrer Heimat, und dass Marcia der Glaube ihres Geliebten gleichgültig gewesen war, überraschte sie nicht wirklich. Als die Küchenhilfen begannen, den Tisch abzuräumen, wandte sie sich an den Jungen.
» Wir bringen nun Essen zu den Verletzten. Willst du uns helfen? «
Er nickte, auch wenn er nicht begeistert aussah, und trottete Mabile und Olivette hinterher. Zu viert schleppten sie einen großen Kessel aus der Küche ins Spital, während die Mägde ein paar Schüsseln trugen, deren Füllen und Verteilen aber den sociae zufiel. Mabile machte sich sogleich ans Werk, Olivette folgte, doch Samuel stand starr neben dem Kessel und hatte seinen Blick in den Boden gebohrt.
» Nun komm, wir brauchen jede Unterstützung! « , mahnte Adelind. Zwar gab es noch genug andere sociae, die sie um Hilfe bitten konnte, aber es erschien ihr sinnvoll, diesen Jungen zu irgendeiner Beschäftigung anzustacheln, bevor er völlig in Trübsal versank. Samuel ergriff tatsächlich eine der Schüsseln, um sie zu einem zahnlosen alten Mann zu tragen, der gestern mit einer eitrigen Wunde am Oberschenkel in die domus gehumpelt war. Wie Adelind bereits aus ihm herausbekommen hatte, stammte er aus einem Vorort von Bezers, den das Heer im Durchzug verwüstet hatte. Samuel stellte die Schüssel neben dem Verletzten ab, der sich selbstständig aufrichten und mit einer hölzernen Kelle essen konnte. Er bedankte sich höflich bei dem Jungen, der jedoch nichts erwiderte, sondern rasch nach draußen eilte. Adelind sah ihm ratlos hinterher.
» Er hat gesehen, wie sie seinen Vater töteten « , flüsterte Mabile ihr zu, die gerade eine weitere Schüssel füllte. » Und ich glaube, was sie mit dieser Marcia gemacht haben, das bekam er auch mit. Gestern hat er mir erzählt, den Anblick all dieser verletzten Menschen nur schwer ertragen zu können, weil er dauernd hässliche Erinnerungen weckt. «
Sie eilte nun zu einem etwa fünfjährigen Kind, das nicht sprach, aber wenigstens seine Brühe annahm. Adelind stellte fest, dass ihre Helferinnen durchaus in der Lage waren, alle Patienten zu versorgen, sodass sie selbst hinausging, um nach Samuel zu sehen. Er stand draußen an die Mauer der domus gelehnt, beobachtete Karren und Leute, die sich durch die engen Gassen der Stadt drängten. Der Morgen kündete bereits glühende Hitze an. Samuel hob den Blick, um die dicken Türme der Stadtmauer zu mustern, auf denen bereits einige Wachleute zu sehen waren.
» Der Vescomte ist gewarnt « , sagte er, ohne Adelind anzusehen. » Er wartet. Auch er weiß, dass ihr nächstes Ziel Carcassona sein wird. «
Adelind trat einen Schritt näher. Plötzlich fiel ihr ein, dass schon vor Wochen Ausbesserungsarbeiten an den Mauern begonnen hatten, ein Umstand, dem sie keinerlei Bedeutungbeigemessen hatte. Vielleicht waren sie auch wirklich nötig gewesen, eine ganz gewöhnliche Erneuerungsmaßnahme.
» Ich lebe seit fünf Jahren in dieser Stadt. Dass Wachleute patrouillieren, das ist völlig normal « , sagte sie, auch um ihre eigene aufsteigende Angst zu bekämpfen.
Sie hörte die Schreie der Händler auf einem kleinen Marktplatz um die Ecke. Direkt vor ihnen zwängte eine Bäuerin sich an einer Eselskarre vorbei. Auf ihrem Kopf lag ein aus Bast geflochtener Reif, dessen Zweck darin bestand, ihr das Balancieren eines kleinen Korbes zu ermöglichen. Als der Fahrer der Karre einmal kurz die Gerte hob, traf sein Ellbogen die Schulter der Frau, die sogleich ins Wanken geriet. Der Korb rutschte von ihrem Kopf herab, um auf dem Straßenpflaster
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