Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
einmal einen Steinwurf weit entfernt!«, trumpfte er
augenzwinkernd auf, machte kehrt und strebte mit weit ausholendem Schritt der
Friedhofspforte zu.
*
»Was ist denn das?«, fragte Bruder Hilpert verblüfft,
kam sich dabei jedoch reichlich albern vor. Das Utensil, welches Ansgar soeben
aus seinem Wams hervorgezaubert hatte, war nun einmal ein Schlüssel, ob er es
nun wahrhaben wollte oder nicht.
Doch der Blondschopf war zu sehr mit dem Öffnen der
nördlichen Seitentür des Neumünsters beschäftigt, als dass er sich an Bruder
Hilperts ungläubigem Staunen hätte ergötzen können. Bruder Hilpert ging in die
Hocke und richtete die Laterne auf das Schloss. Eine Mühe, die er sich hätte sparen
können, denn im selben Moment ging die mit Bandeisen beschlagene Pforte mit
einem leisen Knarren auf.
Obwohl sie Gefahr liefen, entdeckt zu werden, konnte
sich Bruder Hilpert eine neugierige Frage nicht verkneifen: »Wie hast du denn
das gemacht?«, fragte er, wobei ein Hauch von Bewunderung in seiner Stimme
mitschwang.
»Das mit dem Aufschließen oder mir
den passenden Schlüssel zu besorgen?«, feixte der Blondschopf, während sich die
Tür hinter ihnen schloss.
»Letzteres«, entgegnete Bruder Hilpert und zollte
Ansgars Verschlagenheit bereits jetzt heimlichen Tribut.
»Ganz einfach: Ich hab einen Wachsabdruck gemacht,
Gumpert den Schlüssel – fertig!«
»Und Agilulf?«
»Der hat ganz geheimnisvoll getan, bis zuletzt. Das
heißt, als er uns endlich reinen Wein eingeschenkt hat, bekam der gute alte
Gumpert auf einmal Schiss. Komisch, war doch sonst nicht so. Aber als er
mitgekriegt hat, was Agilulf ausgeheckt hatte, war nichts mehr zu machen. Hatte
es auf einmal furchtbar eilig. So eilig, dass man hätte meinen können, der
Teufel sei hinter ihm her!«
Bruder Hilpert wollte eine weitere Frage stellen, doch
auf einmal legte Ansgar den Zeigefinger auf die Lippen und bedeutete ihm, die
Blende seiner Laterne zu schließen.
Das ungleiche Paar rührte sich nicht von der Stelle
und lauschte mit angehaltenem Atem in die Finsternis hinein. Doch nichts
geschah. Die Stille war bedrückend, die gewaltigen Ausmaße der Basilika
allenfalls zu erahnen. Erst allmählich, nach etwa einer Viertelstunde,
zeichneten sich ihre Konturen in der Dunkelheit ab. Durch die Bogenfenster hoch
über ihnen flutete das Mondlicht herein und tauchte die Pfeiler in ein
gespenstisches Licht.
Eine weitere Viertelstunde verging, ohne dass etwas
geschah. Bruder Hilpert atmete tief durch. Eine Sinnestäuschung, mehr nicht. So
etwas konnte passieren. Selbst wenn man so abgebrüht wie Ansgar war.
»Und was jetzt?«, schien Bruder Hilperts Blick zu
fragen, nachdem sich Ansgar auf Zehenspitzen zu entfernen begann. Eine Antwort
blieb jedoch aus. Stattdessen gab ihm dieser einen Wink, er möge ihm folgen.
Bruder Hilpert war die Sache nicht geheuer, aber er tat, was der Blondschopf
von ihm verlangte.
Etwa auf halber Höhe zwischen Portal und Apsis blieb
der Jüngling plötzlich stehen. An seinen Bewegungen, lange nicht mehr so
behände wie zuvor, konnte Bruder Hilpert Ansgars innere Anspannung erkennen,
von der seinigen gar nicht zu reden.
Kurze Zeit später erfuhr er den Grund. »Wir sind da!«,
flüsterte ihm der Blondschopf ins Ohr und sah sich rasch nach allen Seiten um.
Die Luft, so schien es, war rein, die Stille fast mit Händen zu greifen.
Bruder Hilpert, der Ansgars Nervosität teilte, war
sich nicht sicher, was der Jüngling mit seiner Bemerkung meinte, und ließ den
Strahl seiner Laterne über die Grabplatten an den Wänden gleiten. Während er
dies tat, beschlich ihn das Gefühl, als erwachten die darauf eingemeißelten
Figuren zum Leben, und er musste sich zwingen, die eigene Fantasie in die
Schranken zu weisen.
Doch dann, in einem Augenblick jähen Begreifens, fiel
sein Blick auf einen rötlichgrauen Steinsarkophag, der auf zwei grob behauenen
Stützen ruhte. Bruder Hilpert schluckte, aber der Kloß in seinem Hals saß so
fest, dass er die Frage, die ihm auf der Zunge lag, lieber für sich behielt.
Eine überflüssige Frage, wie sich alsbald erwies. Denn als er dem Blondschopf
einen kurzen Blick zuwarf, nickte der nur kurz mit dem Kopf. Bruder Hilpert
hatte Gewissheit. Er hatte das Versteck mit den Reliquien des heiligen Kilian
und seiner beiden Gefährten gefunden. Daran gab es keinen Zweifel mehr.
Obwohl er nicht zu übertriebenen Gefühlsregungen
neigte, drohte sein Herz fast zu zerspringen. Mit allem hatte er gerechnet,
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