Die Kinder des Dschinn. Entführt ins Reich der Dongxi
Tisch befanden sich die Überreste eines englischen Nachmittagstees: Teller mit Sandwiches, Teebrötchen, Kuchen und mehrere Kannen Tee. Philippa zog sich einen Stuhl heran, verscheuchte mit Nimrods Serviette eine Taube und setzte sich. Dann aß sie ein wenig Kuchen und starrte ihm ins Gesicht, während sie sich bemühte, das Triumphgefühl zurückzuhalten, das sie empfand.
»Wie kommst du beim Nachdenken voran?«, fragte sie.
Nimrod schlug langsam die Augen auf, als habe er geschlafen. »Ich habe an den armen Mr Rakshasas gedacht«, sagte er. »In seinem Alter absorbiert zu werden, ist höchst besorgniserregend, Philippa. Glaube mir.« Er stieß einen Seufzer aus und trank einen Schluck Tee. »Was ist mit dir? Du siehst aus, als hättest du gerade das Ei des Kolumbus entdeckt.«
»Hab ich auch«, sagte sie. »Sozusagen jedenfalls. Ich weiß, wer Maerkou ist. Du schaust genau drauf.«
Nimrod überlegte kurz. Dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Es klatschte so laut, als habe ihn jemand geohrfeigt, und ein Pärchen, das am Nebentisch Champagner trank, beäugte Philippa misstrauisch.
»Natürlich«, stöhnte Nimrod. »Sankt Markus. Wie konnte ich nur so dumm sein? Ausgerechnet ich, ein Großoffizier des Ordens vom Heiligen Markus. Bei meiner Lampe, wie bist du darauf gekommen?«
Philippa erzählte ihm von den vielen Chinesen, die in der Schlange vor dem Markusdom gestanden hatten, und wie sie ihr Gespräch über Maerkou mit angehört hatte.
Verärgert über sich selbst, schnalzte Nimrod mit der Zunge. »Ich fürchte, diese Geschichte mit Mr Rakshasas hat meinem Konzentrationsvermögen geschadet«, sagte er.
»Laut meinem Reiseführer befinden sich die Gebeine von Sankt Markus im Dom«, sagte Philippa.
»Das wird jedenfalls behauptet«, sagte Nimrod.
»Das müssen die Gebeine sein, die der Kaiser im Jadebuch erwähnt hat.« Sie deutete auf ein Bild im Reiseführer. »Sieh mal hier: Das ist der Sarkophag, in dem er beerdigt wurde.«
Nimrod machte ein skeptisches Gesicht.
»Was ist?«, wollte Philippa wissen. »Stimmt die Information im Buch nicht?«
»Oh, das Buch hat insofern recht, als es wiedergibt, was allgemein behauptet wird«, sagte Nimrod. »Allerdings glauben viele, und ich selbst gehöre auch dazu, dass der Körper des Heiligen im großen Feuer von 976 vernichtet wurde. Auf jeden Fall war er im Jahr 1094 nicht da, sodass die Behörden nach ihm suchen ließen. Wenige Monate später ereignete sich ein kleines Erdbeben und es heißt, der Körper des Heiligen sei wunderbarerweise wiederaufgetaucht.«
»Wunderbarerweise?«
»Um nicht zu sagen, praktischerweise.« Nimrod zuckte die Achseln. »Findest du nicht?«
»Soll das heißen, dass die Gebeine gar nicht da sind?«
»Nein, es ist schon möglich, dass sie da sind«, sagte Nimrod. »Irgendwo. Nur nicht im Sarkophag unter dem Hochaltar. Meine eigene Theorie ist, dass sie wahrscheinlich mehr oder weniger unerkannt irgendwo in der Reliquienkammer der Kirche herumliegen. Das ist ein Ort, an dem alle möglichen heiligen Reliquien aufbewahrt werden. Knochen, Zähne, Haare, Holzstücke, Blut und dergleichen mehr. Früher haben die Leute alle möglichen Dinge irgendwelchen Heiligen zugeschrieben. Mit Reliquien wurden im Mittelalter einträgliche Geschäfte gemacht. Und die Reliquiensammlung des Markusdoms ist eine der größten und ältesten der Welt. Ich vermute, dass wir die Knochen, wenn überhaupt, dort finden werden. Wenn Kaiser Chengzong und sein Jadebuch recht haben, werden wir sie brauchen, wenn wir nach China fahren.«
»Fahren wir denn nach China?«, fragte Philippa.
»Sobald wir Faustina geholfen haben«, sagte Nimrod. »Ich bin überzeugt, dass sie ebenfalls recht hat und dass in der Welt der Geister etwas Merkwürdiges vor sich geht, über das wir mehr herausfinden müssen.«
»Der Trick isse, Biene stechen zu lassen, ohne sie zu töten«, sagte Signor Medici.
»Geht das denn?«, fragte Nimrod.
»Si, wenn man weiß, wasse man tut. Drehen Sie die Signorina auf den Bauch, bitte«, bat er.
Groanin und Philippa packten mit an, um Faustina auf dem Liegestuhl umzudrehen, auf dem sie immer noch regungslos lag.
»Tut mir leid, Faustina«, sagte Philippa. »Aber ich hoffe, es ist zu deinem eigenen Besten.«
»Iche ’abe noch nie eine Mensch mit Bienenstich wiederbelebt«, gestand Signor Medici. »Isse erste Mal für mich. Wohin soll Biene stechen?« Er hatte einen seiner »kleinen Freunde« mit einer Pinzette
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