Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon
allmählich Spaß. Wie jeder Zwölfjährige hatte er auf dem Schulhof seine täglichen Auseinandersetzungen zu bestehen und war geübt in solchen Kabbeleien. »Mit dieser Zunge sollte man Sie glatt in der Post zum Briefmarkenlecken anstellen.«
»Eins zu null für dich«, murmelte Nimrod.
»Vorsicht bei deinem nächsten Hieb, Junge«, zischte Palis. »Es könnte dein letzter sein.«
Nimrod schüttelte den Kopf. »Wie immer, Palis, bist du derSituation nicht gewachsen. Deine letzte Anspielung war eine Drohung und verstößt gegen die Sitte in diesem Turnier: nur Beschimpfungen, keine Drohungen. Du wirst die letzte Bemerkung zurückziehen und dich bei dem Jungen entschuldigen müssen. Oder du musst das Algonquin verlassen.«
Palis schwieg einen Moment.
»Natürlich kann ich jederzeit den Blauen Dschinn um ihr Urteil bitten«, sagte Nimrod.
Palis leckte sich geräuschvoll die Lippen und verzog sein Gesicht zu einem schiefen Lächeln. »Nicht nötig«, sagte er und deutete mit einer höflichen Geste seine Niederlage an. »Verzeih mir, junger Dschinn. Es ist erstaunlich, dass du hier so was wie Verstand aufblitzen lässt, obwohl in deinem Stamm jeder Funken davon fehlt.«
Doch bevor John mit einer schlagfertigen Antwort parieren konnte, hatte sich Palis verbeugt und war abgezogen.
»Korken noch mal, das war gut«, sagte Nimrod. »Wie du den kleingekriegt hast. Herzlichen Glückwunsch.«
Dschinnversoctoannular wird mit sieben Astragali gespielt. Hat ein Spieler gewürfelt, reicht er seinen Wurf in einer geschlossenen Kristalldose an den nächsten Spieler weiter und gibt dabei ein Gebot ab, das höher als das vorherige sein muss. Mit dem Wort »Mendax« kann ein Gebot angezweifelt werden, danach wird die Dose geöffnet und der Wurf kontrolliert. Nun verliert entweder der Spieler, der das Gebot ausgesprochen hat, oder der, der es angezweifelt hat, einen von drei »Wünschen«; das hängt davon ab, ob es ein ehrliches Gebot oder ein Bluff war.
Philippa musste in der ersten Runde gegen drei Gegner antreten, dazu gehörten Marek Qutrub, ein hinterhältiger Typ, dessen Atem nach rohem Fleisch stank, und Rudyard Teer, der jüngste Sohn von Iblis. Nachdem sie Qutrub erfolgreich herausgefordert und um einen Wunsch ärmer gemacht hatte, war Philippa mit Würfeln dran. Sie hatte eine
Arche
– vier gleiche und drei gleiche. Sie gab die geschlossene Dose an Rudyard Teer weiter und machte ihr Gebot. Eine
Arche
als erster Wurf war ausgezeichnet und Teer ließ deutlich erkennen, dass er ihr nicht glaubte. Weil er aber Philippa für das unglückliche Schicksal seines Vaters mitverantwortlich machte, weigerte er sich, mit ihr zu sprechen. Er musste das Gebot also durch Vermittlung von Mr Duergar, dem Spielleiter, anzweifeln lassen. Als echter Ifrit fluchte er laut, als er beim Öffnen der Dose feststellte, dass Philippas Gebot doch ehrlich gewesen war. Sein Fluchen brachte ihm einen offiziellen Verweis wegen des Gebrauchs von Schimpfworten ein.
»Puh«, stöhnte der vierte Spieler, Zadie Eloko, der in dieser Runde der einzige andere gute Dschinn war, ein Jann aus Jamaika. »Mir läuft’s kalt den Rücken runter, wenn du so fluchst.«
Mit einer ruppigen Bewegung warf Rudyard Teer dem Jann die Kristalldose hin. »Ach! Ausgerechnet du willst uns was von ›Rücken‹ erzählen?«, blaffte er. »Wenn sie in eurem Stamm Rückgrat hätten, hätten sie sich nicht zu Dienern der Menschen gemacht.«
Diese Bemerkung kostete Teer einen weiteren Wunsch, denn Beleidigungen waren nur den Zuschauern erlaubt, nicht den Spielern. Philippa brachte die erste Runde hinter sich,ohne einen Wunsch einzubüßen. Das überraschte alle, die eigentlich in Marek Qutrub den großen Herausforderer für Lilith de Ghulle gesehen hatten.
»Komm mit, Philippa«, sagte Nimrod nach dem Spiel. »Sie will dich kennen lernen.«
»Wer sie?«
»Ayesha natürlich. Sie, der man gehorchen muss. Die Eiserne Lady eben.«
Die Badroulbadour-Regel
Ayesha thronte in einer Ecke des Eichensaals hinter einem großen runden Tisch. Neben ihr saß eine kleine, verstaubt wirkende Frau. Als Ayesha Philippa mit ihrem Onkel herankommen sah, scheuchte sie die Frau weg und lächelte frostig. »Setz dich, Kind«, sagte sie zu Philippa. »Hab keine Angst, ich beiße dich nicht.«
Philippa fürchtete sich ein bisschen vor Ayesha, setzte sich aber und verschränkte dabei Trost suchend ihre Finger.
Ayesha sah Nimrod scharf an. »Hast du nichts zu tun, Nimrod?«
»Doch, doch,
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