Die Kiste der Beziehung: Wenn Paare auspacken (Populäres Sachbuch) (German Edition)
und Maria, wegen denen es überhaupt Weihnachten gebe und die just zu dieser Zeit auch von Pontius zu Pilatus gelaufen wären, um eine Bleibe zu finden. Jetzt machten mir Mutter und Ramona synchron Vorwürfe wegen Herzlosigkeit.
Meine Eltern standen um kurz vor elf vor der Tür. Mutter lamentierte über die Preise, die zwei Tassen Kaffee in der Stadt gekostet hatten. Für das Geld bekomme sie zu Hause eine komplette Kaffeemaschine, hieß es. Mein Vater setzte sich ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher an, während meine Mutter begann, die Gewürze in unserem Küchenschrank umzusortieren. Ich sagte: »Elf Uhr ist für mich nicht Mittag«, und meine Mutter sah mich an, als würde sie darüber nachdenken, mich zu enterben, wenn sie Geld hätte. Da war es Viertel nach elf, und es lagen noch zwei komplette Weihnachtstage vor uns.
Zwischen Mutter und Sohn ist es ja oft wie zwischen Israel und den Palästinensern. Man kann einem Außenstehenden nicht vermitteln, warum es immer wieder zu Spannungen kommt. Jeder gibt dem anderen die Schuld; und die Ursache von allem liegt so weit in der Vergangenheit, dass sich keiner mehr an die genauen Ereignisse erinnern kann. Das Beste, was sich erreichen lässt, ist, dass man sich gegenseitig toleriert, und auch das geht nie lange gut.
Mein Vater tat so, als sei er Australien. Ein eigener Kontinent, der, weit weg, mit all dem nichts zu tun hat. Ramona dagegen setzte sich einen imaginären Blauhelm auf und versuchte zu vermitteln. Sie ließ sich von meiner Mutter geduldig in die Kunst des Kartoffelsalatmachens einweisen, bedauerte angemessen Mutters Füße und erfand spontan mehrere Geschichten, in denen ich alles herumliegen ließ und sie es ausbaden musste. Mutter war glücklich.
Anschließend ging Ramona mit mir in den Keller, um »Wein zu holen«, und versicherte mir dabei, dass meine Mutter im Vergleich zu ihrer Mutter komplett aus Marzipan und Gold sei. Anschließend küsste sie mich tröstend zwischen Stehleitern, Koffern und alten Schuhen und ließ mich dabei ausgiebig ihre Brüste befummeln. Das beruhigte mich. Ich war glücklich.
Meine Mutter ist in unserer Familie so was wie die Bunte auf Füßen. Auf schlimmen Füßen natürlich, aber sie weiß alles über jeden und plaudert es auch gerne aus. Deswegen teilte sie mir mit, dass Giselas Ehe sich dem Ende nähere, weil Günter was mit jemandem aus der Firma hatte, Tante Heidruns Krankheit war nach Mutters Profidiagnose sicher Krebs, zumindest aber müsse sie untenrum komplett ausgeräumt werden, während Kehlmanns ja über ihren Verhältnissen leben, was, laut Mutter, in diesen Zeiten nicht mehr lange gutgehen könne.
Nach bestem Wissen kannte ich keinen dieser Leute, was ich auch mehrfach erwähnte, während sich Ramona tapfer interessierte und sogar Nachfragen stellte. Vater saß derweil im Wohnzimmer und schaute sich die Wiederholung eines Bundesligaspiels vom März an. Mutter erläuterte Ramona anschließend ihre Theorie, dass sich Metastasen von den Füßen aus den Weg durch den Körper bahnen, Ramona nickte wie ein Wackeldackel in der Hutablage, und ich wurde laut. Ramona ging mit mir in den Keller und ließ mich an ihren Brüsten fummeln. Ich beruhigte mich wieder. Dann gab es Mittagessen. Weihnachten findet immer in Zeitlupe statt. Die eigenen Eltern in der eigenen Wohnung zu haben fühlt sich so an wie die Besatzung durch die Amerikaner: Man ist ihnen was schuldig, sie wollen einem nix Böses, aber man ist doch froh, wenn sie wieder weg sind.
Wir schleppten uns zur Bescherung mit Mutters Analyse der Finanzmärkte (»Schlimm!«), Mutters fachlichem Urteil über die neue Freundin meines Bruders (»Schlimm!«) und Mutters Fachfrauen-Ausblick auf das neue Jahr (»Ganz schlimm!«).
Ramona ging mit mir zwischendurch zwei Mal in den Keller. Dann gab es Abendessen. Dann packten wir Geschenke aus. Dann wollte mein Vater die Wiederholung der Bahnrad-EM der Frauen sehen, und Mutter wollte unser Badezimmer putzen. Dann gingen meine Eltern ins Hotel, und ich war mir sicher, dass ich am nächsten Tag ein Blutbad anrichten würde. Ramona redete mit ihren Brüsten beruhigend auf mich ein.
Um drei Uhr nachts klingelte das Telefon, und Mutter teilte mir mit, dass sie und ihr Mann nach Hause gefahren waren. Die Fenster in der 400-Euro-Suite ließen sich wegen der Klimaanlage nicht öffnen, was zunächst meine Mutter nicht schlafen ließ und demzufolge dann auch meinen Vater nicht. Ich hätte wissen müssen, dass sie seit
Weitere Kostenlose Bücher