Die Kleinbürger (German Edition)
›meiner‹ Zeitungen, und redigierte die ›vermischten Nachrichten‹. Aber, erlauben Sie, diese berühmte Künstlerin war doch Fräulein Beaumesnil.«
»Gewiß, die Mutter des Fräuleins Lydia de la Peyrade.«
»Also war es,« sagte Cérizet, »dieser elende Toupillier ... Aber nein, ich erinnere mich, der Dieb wurde ja verurteilt. Er hieß Charles Crochard. Man munkelte sogar, daß es ein natürlicher Sohn einer hochgestellten Persönlichkeit, des Grafen von Granville, des Pariser Generalstabsanwalts unter der Restauration, sei.«
»Es geschah folgendermaßen«, fuhr du Portail fort. »Der Diebstahl wurde, Sie werden sich auch darauf besinnen, in dem Hause in der Rue de Tournon, das Fräulein Beaumesnil bewohnte, begangen. Charles Crochard, ein hübscher Junge, stand anscheinend mit ihr auf sehr vertrautem Fuße.«
»Jawohl, jawohl,« sagte Cérizet, »mir steht noch deutlich die Verlegenheit des Fräuleins Beaumesnil vor Augen, als sie vor Gericht darüber aussagen mußte, und wie sie leise sprach, als sie vor dem Schwurgericht nach ihrem Alter gefragt wurde.«
»Dieser Diebstahl,« fuhr du Portail fort, »wurde in kecker Weise am hellerlichten Tage ausgeführt, und einmal im Besitze des Etuis, begab sich Charles Crochard in die Kirche Saint-Sulpice, wohin er einen Komplizen bestellt hatte. Dieser sollte, schon vorher mit einem Paß versehen, die Diamanten in Empfang nehmen und sofort ins Ausland abreisen. Der Mensch, den er erwartete, verspätete sich um einige Minuten, und durch einen Zufall sah sich Charles Crochard einem berühmten Agenten der Sicherheitspolizei gegenüber, den er genau kannte, da der junge Bursche nicht zum erstenmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war. Die Abwesenheit seines Helfershelfer, die Begegnung mit dem Agenten, der ihn anscheinend scharf gemustert hatte, sein schlechtes Gewissen und schließlich eine schnelle Bewegung, die der Agent ganz zufällig nach der Ausgangstür zu machte, ließen in dem Diebe den Gedanken auftauchen, daß er überwacht sei. In seiner Aufregung verlor er den Kopf und wollte sich um jeden Preis des Etuis entledigen, womit er auf frischer Tat ertappt worden wäre, wenn er, woran er nicht zweifelte, beim Verlassen der Kirche, die er schon von der Polizei umzingelt glaubte, verhaftet werden würde. Als er daher Toupillier in seinem Verschlage bemerkte, der damals noch das Weihwasser reichte, ging er zu ihm hin und sagte, nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie von niemandem belauscht wurden: »Wollen Sie mir das kleine Paket hier aufheben, mein Bester? Es ist ein Karton mit Spitzen. Ich muß hier nebenan zu einer Gräfin gehen, die schlecht zahlt; anstatt meine Rechnung zu begleichen, wird sie diesen Artikel, der eine Neuheit ist, ansehen wollen und verlangen, daß er ihr auf Kredit geliefert wird. Es ist mir lieber, wenn ich ihn gar nicht bei mir habe. Lassen Sie aber ja,« fügte er hinzu, »das Papier, in das der Karton eingeschlagen ist, unberührt, denn nichts ist so schwierig, wie ein Paket wieder in dieselben Falten einzuwickeln.«
»Wie ungeschickt!« rief Cérizet unwillkürlich aus, »mit seinen Ermahnungen hat er den Andern ja gerade neugierig gemacht, nachzusehen.«
»Sie sind ein feiner Psychologe«, sagte du Portail. »Eine Stunde später, nachdem er nichts Beunruhigendes entdeckt hatte, erschien Charles Crochard wieder, um seinen Schatz in Empfang zu nehmen, aber Toupillier war nicht mehr da. Sie können sich vorstellen, mit welcher Hast am andern Morgen bei der Frühmesse Charles Crochard den Weihwasserspender ansprach, den er bei der Ausübung seiner Funktion antraf; aber, wie man sagt, guter Rat kommt über Nacht; der Biedermann erklärte mit kecker Stirn, daß man ihm nichts übergeben habe, und daß er gar nicht wisse, wovon der andere rede.«
»Und keine Möglichkeit, ihn zu fassen und Lärm zu schlagen!« bemerkte Cérizet, der beinahe seiner Sympathie für einen so frech ausgeführten Streich Ausdruck gegeben hätte.
»Zweifellos,« fuhr du Portail fort, »war der Diebstahl schon ruchbar geworden, und Toupillier, ein sehr gerissener Kerl, hatte sich sehr wohl überlegt, daß der Dieb, wenn er ihn beschuldigte, sich selbst verraten und das Gestohlene herausgeben müßte. Bei der Gerichtsverhandlung erwähnte Charles Crochard kein Wort von seinem Mißgeschick, und zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt, öffnete er während der sechs Jahre im Bagno – ein Teil der Strafe war ihm erlassen worden – keinem Menschen
Weitere Kostenlose Bücher