Die Kleinbürger (German Edition)
Boulevards de la Madeleine, wo er Stammgast geworden war, sein rotes Bändchen hätte spazieren führen können, mußte sich immer noch als Knopflochschmuck mit einer Feldblume begnügen, dem Privileg jedermanns, auf das er weit weniger stolz war als »unser« Beranger.
La Peyrade hatte zwar von einem unvorherzusehenden und unerklärlichen Hindernis gesprochen, das alle Befürwortung und alle Anstrengungen der Gräfin du Bruel nicht zu überwinden vermochten; aber Thuillier gab sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden, und an manchen Tagen, wenn seine getäuschte Hoffnung an ihm nagte, fehlte nicht viel daran, daß er mit Chicaneau in den »Plaideurs« ausgerufen hätte: »Dann soll er mir mein Geld wiedergeben!«
Immerhin kam es nicht zu einem Eklat, weil la Peyrade ihn mit der berühmten Broschüre »über Steuern und Amortisation« in Schach hielt. Ihre Fertigstellung war durch den Aufruhr des Umzugs hinausgeschoben worden. Während dieser unruhigen Tage hatte Thuillier sich nicht um die Korrekturbogen, deren peinliche Prüfung er sich, wie man sich erinnern wird, vorbehalten hatte, kümmern können.
Da er schließlich begriffen hatte, daß er, um seinen Einfluß, der von Tag zu Tag mehr dahinschwand, wiederzugewinnen, einen großen Schlag führen müsse, glaubte der Advokat gerade aus Anlaß dieses kleinlichen Vorgehens einen ebenso durchdachten wie kühnen Plan ausführen zu können.
Eines Tages, als sie bereits bei den letzten Seiten der Broschüre angelangt waren, entspann sich eine Diskussion über das Wort »Nepotismus«, das Thuillier in einem der von la Peyrade geschriebenen Sätze gestrichen wissen wollte, unter dem Vorgeben, daß er dieses Wort niemals angewendet gesehen hätte, und daß es etwas wie »Neologismus« wäre, das heißt, nach den literarischen Begriffen der Bourgeoisie, eine Art Idee wie die von 93 oder der Schreckensherrschaft.
Gewöhnlich nahm la Peyrade die albernen Bemerkungen »Freundchens« ziemlich geduldig hin; aber an diesem Tage wurde er sehr erregt, verkündete Thuillier, daß er die Arbeit, der er eine so lichtvolle und scharfsinnige Kritik zuteil werden lasse, gefälligst selbst vollenden möchte, und ließ sich mehrere Tage nicht sehen.
Thuillier glaubte zuerst an eine vorübergehende üble Laune; aber als sich la Peyrades Abwesenheit verlängerte, hielt er einen versöhnenden Schritt für nötig und suchte den Provenzalen auf, um einen ehrenvollen Rückzug anzutreten und dem Schmollen ein Ende zu machen. Da er aber bei seinem Vorgehen seine Eigenliebe schonen wollte, so sagte er, als er unbefangen hereintrat: »Nun, mein Lieber, wir hatten alle beide recht; ›Nepotismus‹ bedeutet die Autorität, die die Neffen des Papstes in allen Angelegenheiten geltend machten. Ich habe im Lexikon nachgesehen, es steht dort keine andere Erklärung; aber nach dem, was mir Phellion gesagt hat, scheint es, daß man in der politischen Ausdrucksweise die Bedeutung des Wortes dahin erweitert hat, daß man damit den Einfluß bezeichnet, den bestechliche Minister in gesetzwidriger Weise Personen auszuüben gestatten; ich denke also, wir können den Ausdruck beibehalten, wenn er auch von Napoleon Landais nicht in diesem Sinne gebraucht wird.«
La Peyrade, der, während er seinen Besuch empfing, sehr mit seinen Akten beschäftigt tat, zuckte die Achseln und antwortete nichts.
»Nun,« fuhr Thuillier fort, »hast du die letzten beiden Korrekturbogen durchgesehen? Wir müssen weiter kommen.«
»Wenn du nichts an die Druckerei geschickt hast,« erwiderte la Peyrade, »können wir auch keine Korrekturbogen bekommen; was mich betrifft, ich habe das Manuskript nicht angerührt.«
»Aber lieber Theodosius,« sagte Thuillier, »daß du einer solchen Lappalie wegen den Beleidigten spielst! Ich behaupte gewiß nicht, ein Schriftsteller zu sein; aber da die Sache mit meinem Namen erscheint, so kann ich doch wohl, wie ich denke, meine Meinung über ein Wort äußern.«
»Der Herr Phellion,« entgegnete der Advokat, »ist ja ein Schriftsteller, und da du ihn um Rat fragst, so vermag ich nicht einzusehen, warum du ihn nicht auffordern solltest, eine Arbeit mit dir zu Ende zu bringen, an der ich für meinen Teil mir festvorgenommen habe, nicht mehr mitzuwirken.«
»Mein Gott, was bist du für ein Starrkopf,« rief Brigittes Bruder aus; »da bist du nun wütend, weil ich anscheinend über einen Ausdruck im Zweifel war und Jemand deshalb befragt habe. Du weißt doch recht gut, daß ich Phellion,
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