Die Kleinbürger (German Edition)
einen etwas ungeschickten Gebrauch machte.
Am übernächsten Tage in der Sitzung vorgelesen, errang der Bericht den wärmsten Beifall, und Thuillier kehrte strahlend über die Glückwünsche, die ihm gespendet worden waren, heim. Von diesem Zeitpunkt an, der einen Markstein in seinem Leben bezeichnete, denn in hohem Alter erzählte er noch von dem »Bericht, den er die Ehre gehabt hatte, dem Generalrat des Seinebezirkes vorzulegen«, sank la Peyrade beträchtlich in seiner Achtung; er glaubte jetzt, den Provenzalen recht gut entbehren zu können, und in diesem Gedanken an seine Emanzipation wurde er noch durch einen andern glücklichen Umstand bestärkt, der ihm fast zur selben Zeit begegnete.
Eine Parlamentskrise bereitete sich vor: das Ministerium, das seinen Gegnern ein Angriffsobjekt, das die öffentliche Meinung stets stark beeinflußte, aus den Händen nehmen wollte, glaubte, die scharfen Maßregeln, die es seit einiger Zeit gegen die Presse angewendet hatte, mildern zu sollen. In diese Art heuchlerischer Amnestie mit einbegriffen, erhielt Thuillier eines Morgens von seinem Advokaten, den er sich an la Peyrades Stelle genommen hatte, ein Schreiben. Darin wurde ihm mitgeteilt, daß die Regierung die Anklage zurückgenommen und die Aufhebung der Beschlagnahme angeordnet habe.
So erfüllte sich also, was Dutocq vorausgesehen hatte. Thuillier, von diesem Gewicht auf der Brust befreit, wurde durch die Niederschlagung der Sache unverschämt, und indem er mit Brigitte in dasselbe Horn stieß, sprach er von la Peyrade wie von einer Art Intriganten, den er ernährt hätte, der ihm beträchtliche Summen »entzogen«, sich dann höchst undankbar gezeigt und zu dem er glücklicherweise keine Beziehungen mehr unterhielte. Orgon war in voller Empörung und hätte beinahe, wie Dorine ausgerufen:
»Ein Bettler, der zuerst halb barfuß zu uns kam, Noch nicht zehn Heller wert sein ganzer Lumpenkram.«
Cérizet, dem alle diese Gemeinheiten von Dutocq berichtet wurden, hätte nicht verfehlt, sie brühwarm la Peyrade zu hinterbringen; aber das Zusammentreffen, bei dem der Sekretär die über Frau von Godollo eingezogenen Erkundigungen überbringen sollte, fand zu der dafür festgesetzten Zeit nicht statt. La Peyrade verschaffte sich selbst Aufklärung.
Fortwährend von dem Gedanken an die schöne Ungarin verfolgt, und indem er auf das Resultat von Cérizets Nachforschungen wartete oder vielmehr nicht wartete, durchstrich er Paris nach jeder Richtung hin und ließ sich wie ein beschäftigungsloser Bummler an allen am meisten besuchten Orten blicken; sein Herz sagte ihm, daß er früher oder später den Gegenstand seines heißen Begehrens treffen würde.
Eines Abends, gegen Mitte Oktober, an einem herrlichen Herbsttage, wie er in Paris nicht selten ist, war auf den Boulevards, auf denen der Provenzale seine Liebe und seine Melancholie spazieren führte, ein Leben und Treiben im Freien, als ob man mitten im Sommer wäre.
Als er auf dem Boulevard des Italiens, der früher Boulevard de Gand hieß, vor dem Café de Paris an der Stuhlreihe entlang ging, auf der, neben verschiedenen Frauen aus der Chaussee d'Antin in Begleitung ihrer Kinder und Ehemänner, sich ein Spalier von nächtlichen Schönheiten entfaltet, die nur darauf warten, daß eine behandschuhte männliche Hand sie pflücke, empfand la Peyrade plötzlich einen furchtbaren Stich im Herzen: er glaubte von weitem seine angebetete Gräfin zu erblicken.
Sie war allein, in kostbarer Toilette, die der Ort und ihr Alleinsein nicht zu rechtfertigen schienen; vor ihr auf einem Stuhl wedelte ein weißes Bologneserhündchen, das sie mit ihren schönen Händen liebkoste.
Nachdem er sich überzeugt hatte, daß er sich nicht täusche, stürzte der Advokat auf die himmlische Vision zu, als ihm ein »Gesellschaftslöwe« von der sieggewöhntesten Sorte zuvorkam; ohne seine Zigarre wegzuwerfen und ohne selbst seinen Hut mit der Hand zu berühren, begann der schöne junge Mann ein Gespräch mit seinem Ideal. Als sie den Provenzalen bemerkte, der mit bleichem Gesicht im Begriff stand, sie anzusprechen, bekam die Sirene offenbar Angst, denn sie erhob sich, nahm hastig den Arm des Mannes, der mit ihr plauderte und sagte zu ihm:
»Haben Sie Ihren Wagen da, Emil? Mabille wird heute abend geschlossen; ich hätte Lust hinzufahren.«
Der Name dieses anrüchigen Lokals, der so vor dem unglücklichen Advokaten hingeworfen war, bedeutete für ihn jedenfalls eine Wohltat, denn er verhinderte
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