Die Knochenkammer
gewesen waren, bis zu dem Hügel, auf dem man die importierten Ruinen wieder aufgebaut und in eine zeitgenössische Umgebung integriert hatte.
Ich wandte meinen Blick vom Fluss ab und sah den Weg entlang, der von dort, wo wir standen, abwärts durch einen dicht bewaldeten Park führte. Katrina Grooten hatte letzten Juni eines Abends das Museum verlassen und war auf einem dieser abschüssigen Wege einem neuzeitlichen Wegelagerer in die Arme gelaufen, der sie in das Dickicht gezerrt und in dessen Schutz vergewaltigt hatte.
»Hiram Bellinger wartet in seinem Büro auf uns.« Detective Wallace führte uns um das Gebäude herum hinab zum Haupteingang gegenüber dem Parkplatz. Der Eingangsbogen im romanischen Stil, auf dem zahlreiche reale und imaginäre Tiere und Vögel abgebildet waren, führte zu einem Treppengewölbe. Außer uns waren nur noch eine Hand voll andere Besucher da, und während ich nach oben ging, vorbei an Fenstern, die von winzigen Bleiglasscheiben eingefasst waren, kam ich mir vor, als hätte ich eine Zeitreise durch einige Jahrhunderte in eine mittelalterliche Kirche angetreten. Das maschinell produzierte, schmiedeeiserne Treppengeländer war das Einzige, was uns daran erinnerte, dass wir uns im einundzwanzigsten Jahrhundert befanden.
»Kühl hier drinnen«, sagte Mike.
Die dicken, aus riesigen Steinen erbauten Mauern sorgten dafür, dass es drinnen um mindestens fünf Grad kälter war als draußen. Sicher überlegte Mike genau wie ich, ob die Kälte in diesen wiedererrichteten Klosterbauten dazu geeignet wäre, einen Leichnam zu konservieren.
Oben auf der Treppe wies uns ein Museumswärter den Weg ins Büro des Kurators. Vorbei an den wunderschönen Marmorkapitelen des Kreuzgangs des Cuxa-Klosters, eines der fünf hier wieder aufgebauten französischen Klöster, durchquerten wir einen ruhigen Garten und gingen zu dem Turm, in dem die Verwaltungsbüros des Museums untergebracht waren.
Ich klopfte an die Tür mit dem Schild HIRAM BELLINGER, KURATOR - MITTELALTERLICHE KUNST und erwartete, dass sie von einem griesgrämigen alten Einsiedler geöffnet werden würde, der seine Nase seit Jahrzehnten in alte Handschriften steckte. Aber diese Beschreibung traf auf Hiram Bellinger nicht zu. Er konnte nicht viel älter sein als Mercer, höchstens Anfang vierzig. In seiner Khakihose, den Collegeslippern und dem Baumwollrolli unter einem Buttondown-Hemd mit offenem Kragen wirkte er wie ein Gutsherr.
In dem großen Raum stapelten sich überall Bücher, und von hier oben im Turm konnte man meilenweit den Hudson hinaufsehen.
»An einem Tag wie heute fällt das Arbeiten schwer, also bin ich froh über diese Unterbrechung. Die mittelalterlichen Mönche liebten die Isolation, Ms. Cooper. Fast so sehr wie ich. Die Benediktiner bevorzugten Berggipfel, wohingegen die Zisterzienser abgelegene Flusstäler wählten. Ich habe das große Glück gehabt, mitten in einer Großstadt eine beinahe klösterliche Umgebung zu finden.«
Bellinger bat uns, an einem runden Tisch in der Mitte des Raums Platz zu nehmen. Er legte einige aufgeschlagene Bücher auf das Fensterbrett und schob ein paar andere Bücherstapel zur Seite.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Wir würden uns gerne mit Ihnen über Katrina unterhalten. Katrina Grooten.«
»Ich kann noch immer nicht glauben, was ich gehört habe«, sagte er, während er einige Papiere ordnete und sich neben mich setzte.
»Was genau haben Sie denn gehört?«
»Dass sie tot ist. Dass sie nie New York verlassen hat und nach Hause zurückgegangen ist, wie sie uns erzählt hatte.«
Er schüttelte den Kopf. »Dass jemand sie umgebracht hat.«
»Wir wollen herausfinden, wer das getan hat. Und warum. Dazu brauchen wir zuerst einige Informationen über Katrina. Was sie gemacht hat, wen sie kannte, wie sie lebte …«
»Und wem sie auf den Schlips getreten ist.« Mikes Wortwahl vertrug sich schlecht mit der kultivierten Atmosphäre in Bellingers Horst.
»Letzteres wäre eine sehr kurze Liste. Aber ich werde darüber nachdenken. Katrina konnte einem unter die Haut gehen, wenn sie ein Thema entdeckt hatte, für das sie sich leidenschaftlich engagierte. Aber die meiste Zeit war sie sehr ruhig, beinahe schon verschlossen.«
»Wie lange haben Sie sie gekannt?«
»Ich habe sie eingestellt. Vor fast drei Jahren.«
»Wo haben Sie sie kennen gelernt?«
»Sie sprach mit ihrem Lebenslauf am Met vor, wie die meisten Studenten mit einem Abschluss in Kunstgeschichte. Sie unterrichten, sie machen
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