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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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eisernen Fesseln fielen.
    »Lauf«, flüsterte William mir zu. »Lauf, so schnell du kannst.«
    Wir sprangen vom Schafott und rannten davon, durch die Straßen, durch die Gassen – vorbei an Menschen, die entsetzt zum Himmel blickten.
    Als wir nur noch die Schemen der Stadtmauern Kölns hinter uns sahen, hielten wir inne.
    »Na bitte«, grinste William. »Jetzt sind wir frei. Hans hat es gewusst.«
    »Aber wie?«, fragte ich atemlos und warf mich in seine Arme.
    William strich mir über den Kopf. »Genau so, wie er es erklärt hat. Der Mond hat sich zwischen Sonne und Erde geschoben und verdeckt die Sonne nun vollständig.«
    »Hans war ein Zauberer«, weinte ich an seiner Schulter.
    »In Astronomie und Mathematik. So viel steht fest.«
    »So ein Glück«, heulte ich.
    »Was?«
    »Dass es ausgerechnet heute war.«
    William lachte und küsste mich auf den Mund.

[home]
    Drittes Buch
    Prag
    31
    Karneval
    F aliero trug das zweite Gesicht – die Maske. Interessiert beobachtete er das Schauspiel auf der Piazzetta San Francesco delle Vigna. Der erste Stier war enttäuschend, ein wahrer Koloss zwar, doch ebenso träge wie groß. Faliero empfand Verachtung für den Bullen, der nicht kämpfte, sondern mit gesenktem Schädel dastand und mit blutunterlaufenen Augen zu seinen Schlachtern glotzte. Ein-, zweimal scharrte er mit den Hufen, und die Menge hielt den Atem an, weil jeder dachte, nun ginge er endlich zum Angriff über. Doch selbst, als sich die Schlachter, bewaffnet mit ihren Beilen und Schwertern, langsam und misstrauisch näherten, blieb der Stier reglos stehen. »Wie ein Lamm«, knurrte Faliero, als einer der Metzger ihm mit einem Streich den Kopf abschlug. Langsam, wie ein sinkendes Schiff, sackte er zu Boden. Für ihn gab es ein gellendes Pfeifkonzert, für die Schlachter mäßigen Applaus.
    Der zweite Stier verteidigte sein Leben mit all seinem Mut. Immer wieder griff er die Schlachter mit gesenkten Hörnern an und brachte sie dabei in arge Bedrängnis. Währenddessen ließ Faliero seinen Blick umherschweifen. Aluicha war nirgendwo zu sehen. Das beunruhigte ihn und lenkte ihn vom Stierspektakel ab. Sie hatte ihm erklärt, sie wolle zu ihren Eltern gehen, die in Sichtweite saßen. Doch dort war sie nicht aufgetaucht. Aus den Augenwinkeln hatte er eine weibliche Gestalt mit Maske und rotem Umhang am Ende des Platzes in der Einmündung einer Gasse verschwinden sehen. Wie es schien, folgte die Frau einem als Bettler verkleideten Mann. War sie es? Faliero war schon halb aufgesprungen. Doch er hätte die Piazzetta überqueren müssen, auf der die Schlachter immer noch vergeblich versuchten, den Stier zu stellen. Faliero sank also zurück in den Sessel und stieß den angehaltenen Atem aus. Dieses verfluchte Kindweib! Wie schaffte sie es ständig, ihn abwechselnd in Verzückung und Verzweiflung zu versetzen? Ihr Liebreiz, ihre Schönheit waren beinahe schmerzhaft – noch mehr aber machte ihm der Stachel der Eifersucht zu schaffen, den die dunkle Seite ihres Wesens immer tiefer in sein Fleisch trieb. In einem Moment schenkte sie ihm höchste Verzückung, mit all ihren körperlichen Reizen, ein paar gehauchten Liebesschwüren oder einfach nur mit einem schmachtenden Blick aus ihren Mandelaugen. Doch schon wenig später konnte es sein, dass sie ihm ebenso tief wie spielerisch ins Herz schnitt. Sie brauchte zum Beispiel nur lächelnd die Standhaftigkeit eines alten Mannes – also seine – mit dem venezianischen Winter – der nur selten stattfand und wenn, dann nur von kurzer Dauer war – zu vergleichen oder einen schönen Jüngling mit einem jener Blicke zu bedenken, die er allein für sich in Anspruch nahm. Kurzum, sie war eine Meisterin zweierlei Künste: ihn um den Finger zu wickeln, um ihn gleich darauf in weißglühende Eifersucht zu versetzen, heißer noch als die Schmelzöfen Muranos. Sein kühler, logisch denkender Verstand erfasste die Wahrheit: Alles, was sie sagte oder tat – sei es ein neckisches Augenzwinkern zu einem jungen Mann oder aber ein dahingehauchtes Kosewort für ihn –, all dies geschah nur aus einem Grund: Berechnung. Für sie erfüllten die Menschen in ihrer Umgebung nur einen Zweck. Sie waren Marionetten, und die Fäden an ihren Köpfen und Gliedmaßen lagen in ihren Händen. Das wusste Falieros Vernunft sehr wohl. Seinem Herzen jedoch blieb diese Weisheit verschlossen.
    Die Menge schrie auf. Der nur halbherzig geführte Schwerthieb eines Schlachters, der den Stier enthaupten sollte, war

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