Die Königsmacherin
richtete.
»Bist du Christ?« fragte sie ihn.
»Wäre ich dann Sklave?« gab er grimmig zurück.
In den ersten Jahren waren seine Bitten, getauft zu werden, auf taube Ohren gestoßen. Als er nämlich begriffen hatte, daß Christen ebensowenig wie Muselmanen Menschen ihres eigenen Glaubens versklaven durften, hatte er darin einen Ausweg aus seinem schmählichen Schicksal gesehen. Nicht daß er von seinen alten Göttern abgelassen hätte, aber in seinem Herzen war durchaus noch Platz für den Gott der Christen, seinen Sohn und den unsichtbaren Heiligen. Da sich diese drei nicht auf dem Olymp aufhielten, sondern irgendwo über den Wolken, würden sie den anderen Göttern schon nicht ins Gehege kommen. Doch zu seiner Enttäuschung galt er den Mönchen offensichtlich nicht als Mensch, und ein Gegenstand konnte nicht getauft werden. Das begriff auch Bertrada. Mit einemmal offenbarte sich ihr die Gelegenheit, etwas von ihrer großen Schuld abzutragen. Sie könnte Gott eine Seele zuführen.
»Wenn du dich würdig erweist, werde ich dich taufen lassen«, sagte sie und sah ihn von der Seite an. »Erzähl mir von deinen Göttern.«
Die Sonne brannte vom Himmel. Genau wie dreizehn Jahre zuvor, als sie ein Stück mit ihm zusammen durch den Eifelgau gewandert war und er für sie beide von den Höfen Nahrung gestohlen hatte. Damals hatte er vorgeschlagen, daß sie sich im Wasser säubern sollte, damit sie als Mann und Frau des Weges ziehen könnten. Jetzt hätte er seine Sklaventunika gegen ein vornehmes Gewand eintauschen müssen, damit man sie für ein Paar gehalten hätte. Sie fragte sich, was damals wohl mit ihr geschehen wäre, wenn man sie mit ihm zusammen aufgegriffen hätte.
»Wie bist du eigentlich nach Vienne gekommen?« unterbrach sie seinen sehr anschaulichen Bericht vom Raub der Europa.
Überrascht sah er sie an. Noch nie hatte sich jemand für sein Schicksal interessiert. Er wußte überhaupt nicht, wie er von sich selbst reden sollte.
»Aufgegriffen«, murmelte er. »Teles wurde aufgegriffen.«
»Und davor? Du wirst später mit mir in den Norden reisen. Hast du jemals dort gelebt?«
Seine Stirn bewölkte sich.
»Lange her«, bekannte er. »War kalt. Und hatte viele Wälder.«
Sie wußte, daß es gefährlich war, aber sie wollte unbedingt wissen, ob er sich noch an die verwahrloste Frau erinnern konnte, der er einst am Waldesrand Wein eingeflößt hatte. Er gab vor, nicht mehr zu wissen, in welchem Kloster er damals gearbeitet hatte, und sprach von seinem Vater, mit dem zusammen er versklavt worden war.
»Ein großer Gelehrter«, versicherte er. »Teles hat viel von ihm gelernt, Lesen, schreiben, rechnen. Er kam leider in ein anderes Kloster.« Vor der Trennung hatte ihm sein Vater beim Zeus geschworen, alles dafür zu tun, seinem Sohn die Freiheit zu erkaufen.
»Aber was kann ein Sklave schon tun«, seufzte Teles. »Der Vater ist bestimmt schon tot.«
Dunkel erinnerte sich Bertrada an die Heiterkeit in ihrem Elternhaus, als das Testament des griechischen Sklaven aus dem Kloster von Laon zur Sprache gekommen war.
Sie fluchte leise, als sie über einen Stein stolperte. Es war schon sehr lange her, seit sie zuletzt eine so weite Strecke gegangen war, und sie fand es zunehmend beschwerlich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Dabei begrüßte sie den leichten Schmerz, der ihr mit jedem Schritt mitteilte, daß durch ihre Adern wieder Leben strömte. Noch kurz zuvor im Kloster hätte sie sich nicht vorstellen können, jemals wieder irgend etwas zu empfinden.
»Mein Vater ist auch tot«, sagte sie. »Aber ich habe zwei Söhne.«
»Möge ihnen ein langes Leben beschieden sein!« antwortete Teles höflich.
Bertrada dankte ihm auf griechisch. Seine Augen weiteten sich. Ganz unvermittelt warf er sich ihr zu Füßen und küßte den Saum ihres Kleides.
»Ich diene Euch mit Freuden, Herrin«, sagte er in seiner Muttersprache.
Die beiden Reiter hinter ihnen spornten ihre Pferde an.
»Keine Sorge«, winkte Bertrada lächelnd ab, »er hat mir die Treue geschworen.«
Als sie weitergingen, sprach sie Teles wieder auf seine erste Flucht an, fragte, ob er unterwegs Menschen getroffen, vielleicht sogar irgendwelche unglücklichen Frauen begleitet habe. Doch er konnte oder wollte sich nicht mehr an Einzelheiten erinnern. Der Gedanke, daß sich die Königin des Frankenlandes eines Sklaven entsinnen konnte, dem sie dreizehn Jahre zuvor begegnet war, sie hingegen bei diesem Sklaven offensichtlich keinen bleibenden
Weitere Kostenlose Bücher