Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
uralten Feind.
Als wollte er uns provozieren, begann der Strahl ein wenig zu kreisen und fächerte sich plötzlich in mehrere Lichtbündel auf, wie ein Pfau der ein Rad schlug.
»Komm«, sagte Tom »Wir sehen uns mal an, wo das herkommt.«
Die Straße, auf der wir fuhren, kurvte durch Wälder talwärts. Unter den dichten, vom Schnee beschwerten Tannenwipfeln verloren wir den Lichtstrahl für einige Zeit aus den Augen. Ich glaube, Tom fuhr einfach der Nase nach und wählte willkürlich Abzweigungen. Sobald wir aber wieder auf offenem Feld waren, sah ich, dass sein Instinkt uns richtig geleitet hatte. Wir fuhren direkt auf die Lichtquelle zu, irgendeine industrielle Anlage weitab von allen Dörfern. Kleine Lichter umkränzten einen Turm, der einsam aus der Schneelandschaft hervorstach und sein Signal aussandte. Tom fluchte. Genau das hatte er vermutet. Mitten in der Landschaft!
Er musste das Tempo jetzt verlangsamen, weil vor uns auf der Landstraße plötzlich mehr Verkehr herrschte. Für die späte Uhrzeit waren in dieser Gegend auffällig viele Autos unterwegs. Sie fuhren alle in eine Richtung: auf das Licht zu. Kurz vor dem Ziel begann der Verkehr zu stocken. Die Autos vor uns bogen auf einen Parkplatz ab.
Der Turm war ein etwa dreißig Meter hohes Silo aus Beton. Es konnte einmal zu einem Kieswerk gehört haben. An der Fassade waren ein paar Scheinwerfer, die einen Schriftzug beleuchteten: »Indoor Freeclimbing«. Direkt neben dem Parkplatz stand eine neuer aussehende Industriehalle mit nüchterner grauer Blechfassade. Menschengruppen strömten vom Parkplatz aus dem Eingang zu, über dem ein blauer Schriftzug in Achtzigerjahre-Neonbuchstaben zu sehen war: »Reflex«.
»Was soll das bloß?«, fragte Tom.
»Siehst du doch«, sagte ich. »Eine Landdisco, was sonst?«
»Wollen die ihren Laden im ganzen Land bekannt machen?«
Wir waren mit der ganzen Autoschlange auf den Parkplatz abgebogen und mussten uns entscheiden, wo wir hinwollten, da hinter uns weitere Autos drängelten. Tom fuhr in eine Parklücke und stellte den Motor ab. Ich betrachtete die Leute, die zu Fuß in Richtung des Eingangs gingen. Männer mit Sakko, manche mit Lederjacke über dem Sakko. Frauen in kurzen Jacken und Röcken, Netzstrümpfen und Stöckelschuhen.
»Was machen wir jetzt?«, fragte ich.
»Mal sehen«, sagte Tom.
»Wie lang warst du schon in keiner Großraumdisco mehr?«
Sein Blick verdüsterte sich. »Was hast du vor?«
»Ich dachte, wir gehen mal rein.«
»Philipp, du bist wirklich …«
»Wir könnten doch ein Bier trinken und uns die Leute mal ansehen. Komm«, sagte ich. »Ist genau deine Szene.«
Er versetzte mir einen Stoß in die Lebergegend, der zum Glück von meiner Daunenjacke gedämpft wurde. Dann sandte er dem Lichtstrahl noch einmal einen hasserfüllten Blick zu und stieg wortlos aus.
»Was machst du?«, fragte ich.
»Ich muss pinkeln.«
Während er verschwunden war, vertrat ich mir die Beine auf dem Parkplatz. Der fremde Nachttempel mitten in der Einöde machte mich neugierig. Das Türsteherpaar sah aus wie überall, quadratische Köpfe, fest verankert auf den Krägen von gefütterten Lederjacken. Erstaunlich fand ich nur, dass die Leute in der Schlange kaum anders aussahen. Die Männer hatten alle kurzgeschorene Haare. Ich glaube, die meisten trugen Anzüge unter ihren Jacken, auf jeden Fall hatten sie Anzughosen mit Bügelfalten an. Turnschuhe trug gar niemand, stattdessen Lederhalbschuhe, flach, lang und spitz zulaufend.
»Entschuldigung«, sagte ich zu einem jungen Kerl vor mir, der sich in einer fremden Sprache mit seiner Begleitung unterhielt. »Ich bin nicht von hier.«
Der junge Mann unterbrach sein Gespräch und sah etwas an meiner Daunenjacke herab. Wahrscheinlich fragte er sich, in welcher Gegend man sich zum Ausgehen anzog wie ein abgebranntes Michelin-Männchen.
»Was läuft denn heute hier so?« Ich meinte hauptsächlich die Musik, aber meine Frage klang wohl irgendwie merkwürdig. Seine Begleitung und das Mädchen vor ihm in der Schlange sahen mich belustigt an. Ich glaube, sie hielten mich für einen Trottel.
»Heute ist russische Nacht«, sagte der junge Mann in einem fast akzentfreien Deutsch. Er zeigte auf ein Plakat neben dem Eingang, auf dem die gleiche Auskunft stand: »Samstag: russische Nacht.«
»Aah«, rief ich dümmlich und nickte. Ich trat einen Schritt zurück, um ihm zu bedeuten, dass ich ihn in Ruhe ließ. Das schien ihn zu amüsieren: »Du kannst gerne reinkommen«,
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