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Die Kreatur

Die Kreatur

Titel: Die Kreatur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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frustriert: »Drücken Sie sich verständlich aus, wenn Sie mit mir reden, Christine.«
    »Verständlich, Mrs Helios?«
    »Ich bin frisch aus dem Tank und hoffnungslos naiv – also bringen Sie mir etwas bei. In Ordnung? Helfen Sie mir, mehr zu verstehen.«
    »Aber Sie haben Ihr Wissen doch durch den Download von Daten direkt ins Gehirn erhalten. Was brauchen Sie denn sonst noch?«
    »Christine, ich bin nicht Ihre Feindin .«
    Die Haushälterin wandte sich vom Spülbecken ab und trocknete ihre Hände an einem Geschirrtuch, als sie sagte:
»Ich weiß, dass Sie nicht meine Feindin sind, Mrs Helios. Sie sind aber auch nicht meine Freundin. Freundschaft ist mit Liebe verwandt, und Liebe ist gefährlich. Die Liebe lenkt den Arbeiter davon ab, das Maximum zu leisten, und dasselbe gilt auch für den Hass. Zwischen den Angehörigen der Neuen Rasse gibt es keine Freundschaften und auch keine Feindschaft. «
    »Ich … ich habe diese Haltung nicht in meinem Programm. «
    »Sie ist nicht Teil des Programms, Mrs Helios. Sie ist die natürliche Folge der Programmierung. Wir alle sind Arbeiter von identischem Wert. Arbeiter im Dienste eines hehren Zweckes. Wir bezwingen die gesamte Natur, errichten die ideale Gesellschaft, eine Utopie – und dann auf zu den Sternen. Unser Wert wird nicht an individuellen Leistungen gemessen, sondern daran, was wir als Gesellschaft gemeinsam leisten. Stimmt das etwa nicht?«
    »Stimmt das?«
    »Im Gegensatz zu uns sind Ihnen, Mrs Helios, Demut und Scham gestattet worden, weil unser Schöpfer diese Eigenschaften an einer Ehefrau schätzt.«
    Erika ahnte, dass ihr eine Enthüllung bevorstand, der sie gern ausgewichen wäre, aber schließlich war sie ja diejenige gewesen, und nicht etwa Christine, die darauf beharrt hatte, diese Tür aufzustoßen.
    »Gefühle sind etwas ganz Seltsames, Mrs Helios. Vielleicht ist es letzten Endes doch besser, auf nichts weiter als Neid, Wut, Furcht und Hass beschränkt zu sein – denn diese Gefühle drehen sich im Kreis. Sie sind eine Endlosschleife, wie eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Sie führen zu nichts anderem, und sie verhindern, dass Hoffnung aufkeimt, und das ist wichtig, wenn sich die Hoffnung nie erfüllen wird.«
    Die Trostlosigkeit in Christines Stimme und in ihren Augen erschütterte Erika, und sie wurde von Mitgefühl übermannt.
Daher legte sie der Haushälterin tröstend eine Hand auf die Schulter.
    »Aber Demut und Scham«, fuhr Christine fort, »können sich zu Mitleid auswachsen, ob er es will oder nicht. Und das Mitleid zu tiefem Mitgefühl. Das Mitgefühl zu Bedauern. Und zu vielen anderen Dingen. Sie werden in der Lage sein, mehr zu empfinden als wir alle, Mrs Helios. Sie werden lernen, zu hoffen.«
    Schwermut schlich sich in Erikas Herz ein, eine drückende Last, deren Natur sie aber noch nicht erfassen konnte.
    »Die Fähigkeit, zu hoffen – das wird furchtbar für Sie sein, Mrs Helios, da Ihr Los im Grunde genommen dasselbe wie unseres ist. Sie haben keinen freien Willen. Ihre Hoffnung wird sich nie erfüllen.«
    »Aber William … Wie erklärt das den Vorfall mit William?«
    »Die Zeit, Mrs Helios. Zeit, Zeit, tick, tack, tick, tack. Diese erstaunlichen Körper, die wir besitzen, gegen jede Krankheit resistent – was hat man uns über die Dauer ihrer Haltbarkeit gelehrt?«
    »Vielleicht tausend Jahre«, sagte Erika, denn das war die Zahl, die bei den Downloads im Selbsterfahrungspaket enthalten gewesen war.
    Christine schüttelte den Kopf. »Hoffnungslosigkeit kann man durchaus ertragen … aber nicht tausend Jahre lang. Bei William und Margaret waren es zwanzig Jahre. Und dann kam es bei ihnen zu einer … Funktionsstörung.«
    Die Schulter der Haushälterin hatte der Berührung ihrer Herrin widerstanden und war kein bisschen nachgiebiger geworden. Erika zog ihre Hand zurück.
    »Aber wenn man die Fähigkeit zur Hoffnung besitzt, Mrs Helios, und doch ohne jeden Zweifel weiß, dass sie sich nie erfüllen wird, dann glaube ich nicht, dass man es zwanzig Jahre durchhält. Ich glaube nicht einmal, dass Sie es auf fünf Jahre bringen werden.«

    Erika ließ ihren Blick durch die Küche gleiten. Sie sah das Spülwasser im Becken an. Das Geschirr auf dem Abtropfgestell. Christines Hände. Schließlich sah sie Christine wieder in die Augen.
    Sie sagte: »Sie tun mir so leid.«
    »Ich weiß«, sagte Christine. »Aber ich empfinde nicht das Geringste für Sie, Mrs Helios. Und es wird auch keiner der anderen etwas für Sie empfinden.

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