Die Krieger 5 - Das Labyrinth der Götter
konnte sich nie dazu durchringen. Die Kreaturen stammten aus dem Karu und waren womöglich imstande, ihren unsterblichen Lebensfunken zu löschen, während ihr menschliche Gegner nicht mehr gefährlich werden konnten. Auf keinen Fall wollte sie auf so grausame Weise sterben – nicht jetzt, wo ein Kind in ihrem Leib heranwuchs. Nicht jetzt, wo sie und Amanon endlich zueinander gefunden hatten.
Also hastete sie immer weiter durch die Gänge und zeigte den anderen an jeder Abzweigung, aus welcher Richtung sich die Dämonen näherten. Daraufhin entschieden Grigän und Zejabel, welchen Weg sie als Nächstes einschlugen.
So entfernten sich die Erben immer weiter von Saats Tunnel. Nach wie vor wählten sie bei jeder Gelegenheit Gänge, die nach oben führten. Sie passierten unzählige Höhlen und Gabelungen, und Eryne verstand nun besser, wie Saat es geschafft hatte, sich zur anderen Seite des Rideau vorzuarbeiten. Offenbar erstreckte sich das endlose Netz aus Höhlen und Gängen durch das gesamte Gebirge. Allein der Gedanke ließ Eryne schwindeln. Er schien abwegig, aber nicht abwegiger als alles andere, was sie bisher erlebt hatten. Hatte der Glaube der Etheker vielleicht sogar das Antlitz der bekannten Welt verändert?
Eryne verscheuchte die trüben Gedanken und konzentrierte sich wieder auf die Aufgabe, die ihr niemand abnehmen konnte. Dank ihrer Wachsamkeit waren sie keinen Lemuren mehr begegnet, auch wenn sie hin und wieder ihr Kreischen durch die Gänge hallen hörten. So wagten die Erben und Aufständischen wieder zaghaft zu hoffen, ihre unterirdische Wanderung heil zu überstehen.
Eryne hatte jedes Zeitgefühl verloren, aber seit dem letzten Zusammenstoß mit den Affendämonen mussten mindestens anderthalb Dekanten verstrichen sein. Draußen war wohl längst die Sonne untergegangen. In Lorelia gingen die Bürger vielleicht gerade ins Theater, statteten einander Besuche ab oder waren auf dem Weg ins Bett. Diese Alltäglichkeiten und auch ihr altes Leben als Hofdame kamen ihr völlig unwirklich vor. Aber vielleicht gehörte ein solches Leben, wie sie es sich ausmalte, ohnehin längst der Vergangenheit an? Was mochte in diesem Moment in Lorelia, Goran und Kaul geschehen? Herrschte Krieg in den Städten? Hatten die Dunkle Bruderschaft und die Graue Legion längst die Macht an sich gerissen? Stand Sombre bereits im Begriff, die Welt zu unterwerfen und sich zum alleinigen Herrscher aufzuschwingen? Wenn es den Erben nicht bald gelang, einen Weg aus diesem verfluchten Labyrinth zu finden, würde ihn nichts und niemand mehr davon abhalten können.
Am meisten fürchtete sich Eryne davor, in eine Sackgasse zu geraten. Bei dieser Vorstellung beschlich sie Beklemmung, zumal sie seit einer Weile den Eindruck hatte, dass die Lemuren zielgerichtet vorgingen.
»Es kommt mir vor, als wollten sie uns in eine bestimmte Richtung treiben«, sagte sie schließlich.
»Den Verdacht habe ich auch«, antwortete Grigän. »Wir haben sie zu lange nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
»Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie planvoll vorgehen«, widersprach Leti.
»Von sich aus wohl nicht«, meinte Amanon. »Aber ein mächtiger Dämon könnte ihnen selbst vom anderen Ende der Welt aus Befehle erteilen. Wer Goran angreifen will, muss sie schließlich lenken können.«
Sombres Namen sprach er nicht aus, aber natürlich wussten alle, von wem er sprach.
»Das ergibt keinen Sinn«, beharrte Leti. »Warum hetzt er sie uns dann nicht einfach auf den Hals?«
»Vielleicht will er uns in die Enge treiben«, warf Bowbaq ein.
»Oder die Lemuren fürchten das Schwert«, überlegte Niss.
Eryne sah unwillkürlich zu Zejabel hinüber, doch Grigän erstickte ihre Hoffnung im Keim.
»Das würde mich wundern. Sie machen mir nicht den Eindruck, als fürchteten sie sich vor irgendetwas, und wenn sie uns im Pulk angreifen, nützt uns das Schwert gar nichts. Uns bliebe nicht genug Zeit, sie einen nach dem anderen niederzustrecken.«
»Aber was führen sie dann im Schilde?«, rief Cael jähzornig.
Die hasserfüllte Stimme des Jungen jagte Eryne einen Schauer über den Rücken. Sie kannte ihn mittlerweile gut genug, um die ersten Anzeichen eines bevorstehenden Wutanfalls zu erkennen. Auch die anderen bemerkten die Veränderung: Seine Eltern rückten näher an ihn heran, und Niss wich ihm nicht mehr von der Seite.
»Vielleicht nichts«, antwortete Grigän seufzend. »Vielleicht haben wir sie tatsächlich abgehängt. Das werden wir erst wissen, wenn
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