Die Kriegerin der Kelten
Stimme seines Gegenübers konnte er ungefähr dessen Stimmung abschätzen.
Nachdenklich fuhr die gesichtslose Stimme fort: »Und wenn du mich jetzt tötest, wären Civilis und seine Bataver damit für uns verloren. Dann müssten sie sich stillschweigend wieder dem römischen Kriegsheer anschließen. Mir persönlich wäre es natürlich lieber, wenn sie uns während unseres Angriffs auf Camulodunum den Rücken freihalten könnten. Da wären sie uns sicherlich sehr nützlich. Und selbst wenn wir es schaffen könnten, jeden einzelnen Offizier und jeden einzelnen Soldaten in diesem Lager augenblicklich ins Jenseits zu befördern, so blieben damit doch noch immer vier weitere Kohorten, die in den Winterforts der Neunten Legion nur darauf warten, endlich in den Kampf ziehen zu dürfen.«
Unbewaffnet und allein war Valerius Cunomar in der Dunkelheit gegenübergetreten. Erst jetzt begriff der Sohn der Bodicea, dass sein Onkel sich damit ganz bewusst einer erheblichen Gefahr ausgesetzt hatte. Andererseits aber könnte man genau dies Cunomar später auch zum Vorwurf machen. Man könnte sagen, dass Valerius vollkommen unbewaffnet gewesen war, während Cunomar ein Messer bei sich getragen hatte.
Lautlos ließ Cunomar sein Messer wieder zurück in dessen Futteral gleiten. Das Feuer warf tanzende Schatten über sein Gesicht. Die Mitglieder des Ältestenrats der Kaledonier hatten einen ganzen Winter darauf verwendet, ihn zu lehren, wie man seine Gedanken und damit die Mimik seines Gesichts kontrollierte, damit der Feind noch nicht einmal die leiseste Ahnung davon bekäme, was wirklich in einem vorging. Selbst diejenigen, die auf Mona die Kunst des Gedankenlesens gelernt hatten, könnten den Blick eines derart geschulten Mannes dann nicht mehr richtig deuten. Derartig gewappnet entgegnete Cunomar: »Die Bärinnenkrieger töten keinen unbewaffneten Mann. Egal, wer dieser Mann auch sein mag.«
»Ich danke dir.« Ein Hauch von Belustigung schien durch Valerius’ leicht sarkastische Stimme hindurchzuklingen, verhallte gleich darauf aber wieder so tonlos, als habe nichts dergleichen jemals Valerius’ Bewusstsein gestreift. »Was spräche eigentlich dagegen, dass deine Schwester Cygfa das Kriegsheer anführt, falls deine Mutter dieser Aufgabe doch nicht mehr gewachsen sein sollte? Mir jedenfalls scheint Cygfa in jeder Hinsicht eine absolut bewundernswerte Kriegerin zu sein.«
Mit einer solchen Frage hatte Cunomar beim besten Willen nicht gerechnet. Noch niemals zuvor hatte er seine Schwester als Bedrohung wahrgenommen. Es dauerte also einen kurzen Moment, ehe er sich wieder erinnerte, warum dies eigentlich so war. »Meine Mutter hat den letzten, großen Angriff auf Rom bereits in einem Fiebertraum vorausgesehen. Cygfa kämpfte in diesem Traum im rechten Flügel und Ardacos im linken. Dubornos allerdings, der Träumer, der kämpft wie ein Krieger, war nirgends zu sehen. Es könnte also Dubornos gewesen sein, der im Traum das Kriegsheer anführte. Obwohl ihm die römischen Inquisitoren damals ja ziemlich übel zugesetzt hatten... vielleicht zu sehr, als dass Dubornos noch jemals die Führerschaft über das Kriegsheer übernehmen könnte.«
»Ich verstehe. Und der Einzige aus dem engsten Kreise deiner Mutter, der dann noch übrig bliebe, um diesen Platz einzunehmen, der wärst du. Das heißt, wenn man mich nicht mitzählt und sofern Breaca diese Aufgabe nicht vielleicht doch noch selbst übernimmt.«
Hell leuchtete am Rande des Lagers ein einzelnes Feuer auf. Mit einer kaum merklichen, doch zweifellos ganz bewussten Bewegung drehte Valerius den Kopf ein wenig zur Seite, sodass die Schatten von seinem Gesicht glitten und Cunomar endlich einen Blick auf dessen Züge werfen konnte. Sein Onkel wirkte erschöpft und geradezu alterslos. Vielleicht aber war er auch einfach bloß sehr geschickt darin, anderen das vorzuspiegeln, was diese gerne sehen wollten.
»Wir sollten über diese Sache jetzt endlich einmal ein paar klare Worte wechseln«, begann Valerius. »Ich persönlich dränge mich nicht danach, der Anführer des Kriegsheeres der Eceni zu werden. Weder jetzt noch irgendwann später. Aber ich werde andererseits auch nicht zulassen, dass der persönliche Ehrgeiz eines einzelnen Mannes das gesamte Heer zerschlägt oder es in den sicheren Tod marschieren lässt. Die Zukunft unseres Volkes, die Zukunft unseres gesamten Landes hängt allein vom Ausgang dieses Krieges ab. Und diese beiden, unser Volk und unser Land, sind um ein Vielfaches
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