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Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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klopfte heftig in seiner Brust, während er laut las:
    »Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester,
    liebe Braut,
    du hast mir das Herz genommen mit einem einzigen Blick
    deiner Augen, mit einer einzigen Kette an deinem Hals.
    Wie schön ist deine Liebe, meine Schwester, liebe Braut!
    Deine Liebe ist lieblicher als Wein,
    und der Geruch deiner Salben übertrifft alle Gewürze.
    Meine Schwester, liebe Braut, du bist
    ein verschlossener Garten,
    eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born.
    Du bist gewachsen wie ein Lustgarten von Granatäpfeln
    mit edlen Früchten, Zyperblumen mit Narden …«
    Bramante schloss die Augen und lehnte sich zurück.
    Nach einer Weile fuhr er fort:
    »Dein Schoß ist wie ein runder Becher,
    dem nimmer Getränk mangelt.
    Dein Wuchs ist hoch wie ein Palmbaum,
    deine Brüste gleichen den Weintrauben …«
    In der Frühe erhob er sich, zog sich an und trat aus dem Haus. Nichts hielt ihn zurück. Es kam ihm seltsam vor, doch konnte er sich nicht dagegen wehren. Ascanio schien einen leichten Schlaf zu haben, denn er hatte ihn gehört und folgte ihm nun wieder in leichtem Abstand. Als Bramante die Klosterkirche von San Silvestro in Capite betrat, fiel sein Blick sofort auf Lucrezia, die wieder vor der Reliquie des heiligen Johannes ihre Andacht verrichtete. Ascanio blieb in der Nähe des Eingangs stehen. Nur ein kleines Stück hinter dem Mädchen ließ sich Bramante auf die Knie nieder und begann zu beten. Anfangs ging es holprig, doch dann gelang es immer besser. Tränen rannen ihm aus den Augen. Es waren Tränen der Erschütterung, denn er hatte das Gefühl, dass Gott ihm zuhörte. Als er aufblickte, sah er Imperias Tochter, die sich auf einer Bank niedergelassen und ihm zugeschaut hatte. Ihre Blicke kreuzten sich.
    »Verzeiht, Messèr Donato, dass ich Euch beobachtet habe!«, sagte sie leise und errötete.
    »Es ist schon gut. Nenne mich einfach Donato«, erwiderte er sanft, stand auf und setzte sich zu ihr.
    »Entweder seid Ihr sehr religiös, oder Ihr habt schon lange nicht mehr gebetet.«
    Der Architekt staunte über die Menschenkenntnis des jungen Mädchens. »Letzteres ist der Fall«, räumte er ein.
    Sie fuhr ihm tröstend übers Haar. »Das ist nicht schlimm. Es heißt, im Himmel ist mehr Freude über einen reuigen Sünder als über tausend Gerechte.«
    Sie schwiegen, und es tat ihm gut, mit ihr zu schweigen und dabei nur ihre Gegenwart zu spüren. Er fühlte, dass er Lucrezia zu lieben begann, nicht wie Imperia, nicht wie eine Frau, sondern wie die Tochter, die er nie gehabt hatte.
    »An der Tür steht ein junger Mann, der uns die ganze Zeit beobachtet!«, raunte sie ihm zu.
    »Mein Leibwächter.«
    »Seid Ihr etwa in Gefahr?«
    »Mit ihm an meiner Seite nicht. Darf ich wiederkommen?«, bat Bramante.
    »Gern. Es ist schön, mit Euch zu reden, Donato.«
    »Sag du!«
    »Es ist schön, mit dir zu reden.« Lucrezia schenkte ihm ein Lächeln, bevor sie wie ein Frühlingshauch entschwand.
    Von nun an begab sich Bramante jeden Tag zur Morgenandacht in die Klosterkirche und unterhielt sich danach noch ein halbes Stündchen mit Lucrezia, tauschte mit ihr Geschichten aus, lachte und erzählte komische Begebenheiten. Manchmal fragte sie ihn um Rat, wenn sie Streit mit einem anderen Mädchen hatte.
    Eines Tages, als er sich verabschieden wollte, stand Imperia vor ihm. Es war ihm unangenehm. Er fühlte sich ertappt und fürchtete, dass die Gespräche mit ihrer Tochter, die ihm inzwischen so viel bedeuteten, ein jähes Ende finden könnten. In der Tat hatte er sich inzwischen der Illusion hingegeben, dass sie wirklich seine Tochter wäre. Plötzlich verstand er, dass Kinder ein Mittel gegen die Angst vor der Ewigkeit waren, eine Angst, die ihn in letzter Zeit immer öfter befiel. Lucrezia war ihm mehr und mehr vertraut geworden, und nun fürchtete er, dass Imperia die Situation missverstehen könnte. Lucrezia küsste ihre Mutter, verabschiedete sich mit dem unschuldigsten Lächeln und ließ Bramante und Imperia allein.
    »Weißt du, ich rede so gern mit ihr. Es ist nicht, was du denkst, ich, ich habe doch keine Tochter und hätte sie so gern gehabt«, stammelte Bramante.
    »Das fällt dir ja wahrlich früh ein«, spottete Imperia schärfer als gewohnt.
    »Ich weiß selbst, dass es dafür längst zu spät ist. Meinen ganzen Ehrgeiz habe ich in den Beruf gesteckt, ihm alles untergeordnet, aber inzwischen weiß ich nicht mehr, ob das richtig war.«
    »Was hat meine Tochter mit deinen

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