Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Selbstvorwürfen zu tun?«
Bramante schlug die Augen nieder. »Nichts.«
»Würdest du denn für sie da sein, wenn mir etwas zustieße?«, fragte Imperia und sah ihm prüfend ins Gesicht.
»Aber ja, natürlich.«
»Und wäre sie für dich immer deine Tochter und niemals eine Frau?«
»Sie hat mich das Beten gelehrt. Niemals würde ich sie als Frau, aber immer als Tochter sehen. Das schwöre ich bei Gott«, beteuerte Bramante und schaute sie an. Sein Blick prallte an ihrer Unnahbarkeit ab, und er wandte sich mit hängenden Schultern zum Gehen. Es war ein Traum gewesen, was sonst?
»Donato«, rief Imperia mit unerwartet warmer Stimme. Er hatte sich kaum umgewandt, da fiel sie ihm bereits um den Hals und umarmte ihn so heftig, dass sie ihn zerdrückt hätte, wenn er nicht so ein kräftiger Kerl gewesen wäre. Er verstand die Welt nicht mehr.
»Ich weiß doch längst, dass ihr euch trefft. Lucrezia hat es mir erzählt«, flüsterte sie ihm zärtlich und mit warmer, feuchter Stimme ins Ohr. »Verzeih, dass ich dich prüfen musste, du Lieber!«
»Ich liebe dich, Imperia.«
»Ich weiß.«
»Es ist verrückt, aber mir ist, als sei sie unsere Tochter.«
»Vergiss das niemals. Ich bin froh, dass du das so siehst. Sie soll ehrbar bleiben und glücklich werden.«
»Bist du denn nicht glücklich mit Agostino?«
»Es geht mir nicht schlecht mit ihm«, antwortete sie ausweichend. Dann küsste sie ihn noch einmal lang und innig, bevor sie wie ein über den ersten Kuss erschrockenes junges Mädchen davoneilte. Bramante sah ihr lange nach. Er war auf merkwürdige Art und Weise Vater geworden und hatte damit die Endlichkeit überwunden. An diesem Tag setzte er sein Testament auf und bestimmte Lucrezia zu seiner Alleinerbin.
Nichts ging über ein Mittagessen im Hause des Giuliano da Sangallo, der wie immer einen liebenswürdigen Gastgeber abgab. Er saß an der Stirnseite eines zwölf Ellen langen, rechteckigen Tisches. Schon die freundliche Heiterkeit des kleinen Saals hob die Stimmung der Anwesenden. Die Gäste und der Hausherr, der unter einem leichten, schwarzen Mantel ein weißes Leinenhemd trug, wirkten, als seien sie gerade den Fresken an den Wänden entstiegen. Auf den Gemälden und Zeichnungen rekelten sich antike Götter beim Tafeln. Freizügig wurden die Unsterblichen beim Scherzen und beim Lieben gezeigt. Sangallo und seine zahlreichen Künstlerfreunde hatten mit Bedacht oder mutwillig nach so manch üppigen Male die frivolen Bildnisse an die Wand gebracht. Der Wein hatte Sangallo die Wangen gerötet und seine Stirn unter Schweiß gesetzt. Als er sich prustend über einen deftigen Witz amüsierte, ähnelte er mehr denn je dem bocksgesichtigen Weingott Dionysos, der als Personifikation der leiblichen Genüsse von der Wand neben der Tür schaute.
Nur einer kaute lustlos und mit verschlossenem Gesicht. Die Krüge mit gutem Wein und die dampfenden Schüsseln, unter denen sich der lange Pinienholztisch bog, beeindruckten Michelangelo wenig. Er verdünnte den Wein und nahm nur ein paar Nudeln mit Hühnerfleisch. Mit seiner düsteren Stimmung und seiner abgetragenen Kleidung wirkte er wie ein Fremdkörper in der scherzenden Gesellschaft der Freunde und Gesellen Sangallos.
»Ich weiß ja, dass die Melancholie ein Zeichen von künstlerischem Genie ist …«, rief ihm der Hausherr mit vollem Mund quer über den Tisch zu, wobei ihm ein paar Nudeln aus dem Mund fielen.
»Dann dürftet Ihr, Messèr Giuliano, bei Eurem Frohsinn der unbegabteste Mensch auf Gottes Erdboden sein«, unterbrach ihn der junge Baumeister Baldassare Peruzzi, der gerade aus Siena nach Rom gekommen war und von Agostino Chigi den lukrativen Auftrag erhalten hatte, einen Palazzo am gegenüberliegenden Tiberufer auszubauen. Aus seinen lustigen Augen über der großen, zeltartigen Nase blitzte der Schalk, als er Michelangelo ansah und mit gekräuselten Lippen hinzufügte: »Und Ihr, Messèr Michelangelo, müsstet folglich ein noch größerer Schöpfer als Gott sein, denn der Allerhöchste soll Humor besitzen:
Nun denn ihr Herren, Gott zum Gruß
Nicht nur der Teufel hat ’nen Pferdefuß.«
Die Männer am Tisch lachten, und Baldassare fuhr fort:
»›Die Engel müssen ihn verstecken,
um keinen Argwohn zu erwecken.
Auch Gott das Ding gehörig kennt,
man ihn zu Recht den Vater nennt.
Kein Feuer, sagt man, ohne Rauch und Ruß
Und keine Lust auf Erden ohne Pferdefuß.‹
Nein, wirklich, ich stelle mir Gott immer ein wenig wie unseren Giuliano vor!
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