Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Giacomo nicht, dass sie ihn durchschaut und den verräterischen Diener festgesetzt hatten, zum anderen war ihm unbekannt, dass Ascanio sehr gute Verbindungen zur römischen Halb- und Unterwelt unterhielt. Bramante blieb nicht viel Zeit, eine gründliche Vorbereitung war ausgeschlossen. Er musste improvisieren und auf sein Glück vertrauen. Das war nichts Neues, denn sein Leben bestand aus der Kombination von Klugheit, Kampferfahrung und Glück.
Sie hatten sich darauf geeinigt, dass Bramante pünktlich nach der Vesper beim Pontifex erscheinen würde. Dann kam es darauf an, dass die Audienz in die Länge gezogen wurde, bevor der Architekt seinen Rücktritt erklärte. Da Giacomo aber sofort Verdacht schöpfen würde, wenn Bramante versuchte, Zeit zu schinden, weihten sie Egidio da Viterbo ein. Dieser hatte jederzeit freien Zugang zum Papst und war ebenso berühmt wie berüchtigt für seine langen, blumigen Vorträge und Predigten. Giacomo würde die Suada des Augustiners über sich ergehen lassen, ohne Argwohn zu schöpfen.
Ascanio wusste, dass ihm nur wenig Zeit zur Verfügung stand. Um sich vor Verrat zu schützen, bat er drei Freunde um Hilfe, die er schon sehr lange kannte und auf die er sich verlassen konnte. Er kannte sie aus der verfluchten Zeit, als sie gemeinsam bei Cesare Borgia in Sold und Brot gestanden hatten.
Die erste und wichtigste Aufgabe bestand darin herauszufinden, wo die Entführer Lucrezia versteckt hielten. Die Chancen, das Mädchen lebend zu befreien, standen schlecht. Zum einen durfte Ascanio bei seiner Suche nicht das geringste Aufsehen erregen, und zum anderen hatte er für dieses Meisterstück keine fünf Stunden mehr zur Verfügung.
Wie oft hatte er in den vergangenen Wochen den Architekten bei seinen Gesprächen mit dem Mädchen nach der Morgenandacht in der Klosterkirche San Silvestro in Capite beobachtet, wie oft hatte ihn dieses Bild – der alternde Mann im gelösten Gespräch mit dem anmutigen Mädchen – gerührt. Sie wirkten wie Tochter und Vater. Ohne es zu merken, hatte der Söldner Lucrezia allmählich ins Herz geschlossen. Und nun trachtete ein Mann, dessen Hände nicht Blut vergießen, sondern Segen spenden sollten, nach ihrem Leben. Zur Genüge hatte Ascanio die Gewalt erlebt in den Jahren, als er mit seinem Rapier unterwegs gewesen war und sich als Landsknecht, dann wieder als Leibwächter verdingt hatte. Die Gewalt, die von den Mächtigen und Starken ausging und die die Machtlosen und Schwachen nur aus dem einen Grund traf – weil sie schutzlos waren und ein Leben so herzlich wenig galt. In seinem Beruf konnte er nicht damit rechnen, ein gesegnetes Alter zu erreichen. Doch nachdem er im Gefolge von Cesare Borgia Zeuge der Plünderungen und Grausamkeiten geworden war, hatte er beschlossen, mit seinem Degen künftig die Menschen vor den Übergriffen der großen Herren zu schützen. Zwar hatte er nichts anderes als das Waffenhandwerk gelernt, aber das wollte er gegen die Willkür einsetzen. Vielleicht schlug hier das Erbteil seines Vaters durch, den er nie kennengelernt hatte. Er sollte ein Priester gewesen sein und – bis auf den Fehltritt, dem Ascanio sein Leben verdankte – ein fast heiliger Mann.
Nachdem Ascanio und seine Freunde ausgeschwärmt waren und sich in der römischen Unterwelt umgehört hatten, trafen sie sich wie ausgemacht auf der Tiberinsel wieder. Viel hatten sie nicht in Erfahrung gebracht, nur dass das Narbengesicht bei einer Dirne in Trastevere, in der Nähe der Via Portuense wohnte. Um nicht aufzufallen, erwarben sie bei einem jüdischen Trödler in der Nähe des Fischmarktes im Rione Sant’Angelo bei dem Portico der Ottavia einige Lumpen und versteckten unter den weiten Stoffen ihre Dolche und Degen. Schließlich rieben sie sich Gesicht und Hände mit Straßenschmutz ein, was ihnen zudem einen unverkennbaren Geruch verlieh.
Als sie das niedrige, zweigeschossige Haus erreichten, das sich schief an das Nebenhaus anlehnte, sah sich Ascanio vorsichtig um. Niemand verfolgte sie, und es standen auch keine Späher vor dem Haus. Zwei seiner Freunde, Baccio und Eugenio, postierten sich in einigem Abstand, während Ascanio und Gustavo, ein ellenlanger Kerl aus Pisa und Feind aller Florentiner, schnell und unauffällig durch die niedrige Eingangstür schlüpften. Der dunkle Flur führte auf einen Hof. Links ging eine schmale und dunkle Treppe in den ersten Stock ab. So leise wie möglich stiegen die beiden Männer die Stufen hinauf. Dann standen sie vor
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