Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
kasteien.
Ein andermal ähnelte Giacomo dem Adam, den Michelangelo gerade an die Decke der Kapelle bannte. Entspannt lag er in der wüsten leeren Welt und streckte seine Hand Gott entgegen, ein Liebender, ein Wartender, hoffend und zugleich seiner selbst sicher. Aber Gott säumte nicht. Der Allmächtige schien nicht frei zu sein in seinem Schöpfungswerk, denn in seiner betörenden Schönheit erzwang Adam geradezu Gottes Tat. Mit den Engeln, umgeben von Leben, gestützt auf eine seraphische Erscheinung, kam der Schöpfer und berührte Adams Zeigefinger mit dem seinen, um ihn dadurch zum Leben zu erwecken, ihm göttliche Energie zu verleihen, wie man das Leben auch nennen konnte.
Gott erschuf. Doch so, wie Michelangelo Adam gemalt hatte, erzwang dieser zugleich die Schöpfung. Beide, der Allmächtige und der Mensch, erzählten in ihrer Bewegung zueinander von einer Liebe, die in der Berührung ihren Höhepunkt fand. Erschüttert blickte Michelangelo auf das, was er gemalt hatte, während ihm das Kalkwasser auf das Gesicht und in die Augen tropfte. Es konnte kein Zufall sein: Gott stützte sich bei seinem Werk auf eine Engelsgestalt mit blondem Haar. Die großen skeptischen Augen, die Michelangelo porträtiert hatte, kannte er, er kannte sie gut, es waren Contessinas Augen. Gott war ein Künstler, der durch einen Fingerzeig alles zum Leben erweckte.
Was der Maler in seiner Einsamkeit erschuf, war nicht weniger als das Evangelium nach Michelangelo, denn am Anfang standen weder das Wort noch die Tat, sondern die Geste. Das Leben war eine Geste Gottes. Michelangelo konnte nicht wissen, dass zur gleichen Zeit ein Augustinermönch aus dem deutschen Wittenberg nach Rom gekommen war, um Ablass zu erringen, und nun, in die Heimat zurückgekehrt, ähnliche Fragen stellte wie er und die gleiche Antwort fand. Nur nannte der Augustiner den Grund des Lebens nicht eine Geste Gottes, sondern die Gnade Gottes. Gottes Gnade, die sich in der Geste ausdrückte, belebte die Welt und erschuf den Menschen.
Die große Allegorie des Lebens, die Michelangelo Glied für Glied, Körper für Körper an die Wände brachte, rang er Gott ab. Zuweilen beschlich ihn das Gefühl, dass er statt in Worten und in Versen in Körpern und in Farben ein Kompendium des Daseins schuf, wie es Dante in seiner »Göttlichen Komödie« geglückt war. Allmählich wurde ihm bewusst, dass es dieses Werk war, dessentwegen er auf die Liebe verzichtet hatte. Und je klarer er das begriff, umso verbissener und leidenschaftlicher arbeitete er. Bei allen Leiden, bei allem Sichschinden war er Gott, wie er in der Sixtinischen Kapelle die Welt erschuf.
Umgang pflegte Michelangelo in dieser Zeit nur mit den Geschöpfen seiner Kunst. Selbst Francesco nahm er kaum noch wahr. So rang er mit der Einsamkeit und mit Gott, während Raffael in der Stanza della Segnatura mit größter Fröhlichkeit die »Disputa del Sacramento« malte und Bramantes Vierungspfeiler für die neue Peterskirche zusehends wie vier mächtige Arme in den Himmel griffen, als wollten sie gleich das Firmament stützen. Bei all der Feindschaft und Konkurrenz, die zwischen den Künstlern herrschte, musste Julius doch den Eindruck gewinnen, als entstünde um ihn herum tatsächlich das neue Jerusalem.
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Rom, Anno Domini 1510
Fernab von der Herrschaft der Künstler und der Schlachten, die sie unter mehr oder weniger großem Getöse mit Farben und Steinen schlugen und dabei immer mehr das Leben ihrer Schöpferkraft untertan machten als die eigentlichen Herren der Ewigen Stadt, begann der Kardinal Catalano, zur Gegenwehr zu rüsten. Er hatte eine herbe Niederlage erlitten. Der Papst empfing ihn seit seiner Entgleisung nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Es glich schon einem Wunder, dass Julius ihm nicht die Erzpriesterschaft von Sankt Peter entzogen und sie stattdessen dem Freigeist Francesco Alidosi verliehen hatte. Giacomo war klug genug, sich ruhig zu verhalten und nicht gegen Bramante zu opponieren, um den Papst nicht zu reizen.
Der Kardinal hoffte, dass die Zeit für ihn arbeiten würde. Die Archiconfraternita musste sich verändern, wieder schlagkräftig werden. Seit die Memoria des Apostelfürsten unter freiem Himmel inmitten der Ruinen stand und es dort von Bauleuten und allem möglichen Gesindel nur so wimmelte, verbot sich jede Zusammenkunft an diesem Ort. Giacomo hatte seine Brüder an einem anderen, sicheren Ort zusammengerufen.
Die Stadt lag wohlig unter der warmen, dunklen Glocke der Nacht.
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