Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
die Hand gereicht hätte. Er hörte schon, wie sie ihm vorwurfsvoll an den Kopf warf: »Du Bummelant!« Dann zog sie ihn mit einem kräftigen Ruck auf ihre Seite der Welt.
Am 11. April 1514 starb in Rom Donato Bramante, der Bauernsohn vom Monte Asdrualdo, der seinen Nachfolgern, nämlich Frà Giocondo, Raffael, Baldassare Peruzzi und Antonio da Sangallo, die größte Baustelle der Welt hinterließ. Die Stützpfeiler für die Kuppel hatte er in die Höhe getrieben, ohne das Firmament über der Vierung errichten zu können. Am Ende hatten ihn die beiden Mächte, denen er zeitlebens entkommen war, doch noch eingeholt – der Tod und die Liebe.
Es goss schon den ganzen Vormittag in Strömen. Antonio machte sich dennoch auf einen Rundgang über die Baustelle, mehr um sich zu beruhigen, als in der Gewissheit, dort gebraucht zu werden. Er merkte bald, dass es ein Fehler gewesen war, den er hätte voraussehen können. Bereits auf halbem Wege zwischen Südwestpfeiler und Westchor kam ihm Maffeo entgegen.
»Messèr Antonio«, rief er, »wir haben die Schutzhütte für das Grab Petri fertig.« Das klang nicht nach Freude oder Erfolgsmeldung, sondern nach einem handfesten Vorwurf.
»Gut«, sagte Antonio abwartend.
»Daran ist nichts gut, wenn ich mir wieder mit den anderen Unternehmern die Arbeit am Westchor teilen muss!« Antonio verstand Maffeo nicht. Der breitete verzweifelt die Arme aus. »Ich muss dann die Hälfte meiner Leute entlassen.«
Nun endlich begriff er das Dilemma seines treuesten Meisters. Als Maffeo immer neue Bauleute angeheuert und in kritischen Zeiten sogar dank Antonio den doppelten Lohn gezahlt hatte, war er zum König der Bauunternehmer aufgestiegen. In den gefährlichen Tagen, als sie gemeinsam mit Ascanio das Kartell der alteingesessenen Unternehmen aufgebrochen hatten, war aus Maffeos kleiner, aufstrebender Firma die wichtigste Bauunternehmung Roms geworden. Dass sie in dieser gefährlichen Zeit einander vertrauten, wurde zum Fundament ihres Erfolges. Doch nun kamen sie wieder in schwere See. Antonio verstand. Wer Maurer entlassen musste, weil er nicht genügend Arbeit beschaffte, verlor als Bauunternehmer an Reputation. Maffeos Firma expandierte zwar, aber sie war noch keineswegs so gefestigt, dass sie den Verlust an Ansehen unbeschadet hinnehmen konnte. Bauen war und blieb Krieg, ein Krieg, in dem wie in der Liebe alle Mittel als erlaubt galten.
»Du musst vorerst keinen deiner Leute entlassen. Ein paar Tage halten wir das schon durch. Ich warte täglich darauf, den Heiligen Vater zu sprechen«, sagte Antonio und legte Maffeo beschwichtigend die Hand auf die Schulter. Dem Maurermeister schien ein Stein vom Herzen zu fallen. Antonio wandte sich zum Gehen, warf aber voller Unruhe noch einmal einen Blick zurück.
Was sich seinen Augen bot, sah wild und chaotisch aus. Zum einen stand die alte Peterskirche von der Benediktionsloggia über den Innenhof bis zur halben Basilika erhaben wie seit über tausend Jahren so unbeeindruckt da, als sei in den letzten sieben Jahren nichts geschehen. Doch dann brach das alte Gemäuer wie mit einem scharfen Schwert gespalten ab, und es gähnte eine Lücke von mehreren Fuß, bis sich vollkommen unvermittelt als gewaltiger Turm der Kubus der Vierung in den Himmel erhob und anschickte, den Glockenturm von Santa Maria in Turri zu überragen. Die vier Pfeiler verbanden Pendentifs und Stützbögen, sodass man sie auch für Riesen halten konnte, die sich gegenseitig die Arme um die Schulter gelegt hatten, als würden sie sich aufeinander einschwören, bevor sie in den Kampf zogen. Ihnen folgten die Konterpfeiler, von denen aber noch keiner seine endgültige Höhe erreicht hatte, die aber gebraucht wurden, um das Gewicht der mächtigen Kuppel abzufangen. Doch an die Kuppel zu denken verbot sich, bevor nicht die Konterpfeiler hochgemauert und der Tambour auf die Pfeiler und die sie verbindenden Pendentifs gesetzt worden waren.
Seit Bramantes Tod hatten sich die Verhältnisse auf der Baustelle unübersichtlich entwickelt. Zwar hatte der Architekt vor seinem Tod noch den Maler Raffael als neuen leitenden Baumeister durchgesetzt, aber der Maler ließ sich weder bei Antonio noch auf der Baustelle sehen. Wie alle anderen wartete auch er auf die Rückkehr des Papstes von der Jagd in der Campagna, um sich mit ihm zu besprechen, bevor er seine Tätigkeit aufzunehmen gedachte. Dass Bramante nicht seinen Gehilfen zu seinem Nachfolger gemacht hatte, der weiterhin nur Gehilfe blieb,
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