Die Lagune des Löwen: Historischer Roman: Historischer Liebesroman
Ruf gehorchte.
Der Junge, der ihm die Nachricht überbracht hatte, wartete unruhig an der Tür, während Carlo sich hastig Hemd und Wams überstreifte.
»Geht es ihr gut?«, fragte er drängend, bereits das zweite Mal, weil der Junge vorher vor lauter Stottern kaum ein Wort richtig herausgebracht hatte. Er präzisierte die Frage. »Ist sie schwer verletzt?«
»Sie hat einen Sch-Schnitt an der Sch-Schulter, doch es hat nicht sehr schlimm geblutet.«
»Sind schon die Büttel benachrichtigt?«
»Nein, sie wollte a-ausdrücklich, dass zuerst Ihr k-kommt.« Der Junge verneigte sich. »Kann ich jetzt gehen, D-Domine?«
Carlo überlegte flüchtig, wie absurd es doch war, dass ein weißer Knabe ihn, einen Schwarzen, als Herr titulierte. So änderten sich die Zeiten und Umstände. Als er so alt gewesen war wie der Junge, hatte er dem Portugiesen während der langen Reise aus dem Herzen Afrikas nach Venedig als Lustobjekt gedient. Er war nicht mehr wert gewesen als ein Tier, das man beliebig missbrauchen oder töten konnte, so wie seinen Vater. Vor einer Weile hatte er begonnen, dem Schicksal der übrigen Sklaven aus seinem Stamm nachzuforschen, doch bis auf zwei Mädchen, die man nach Spanien verschifft hatte, war keiner von ihnen mehr am Leben. Alle anderen waren umgebracht worden oder an Krankheiten gestorben.
»Du kannst gehen«, beschied Carlo den Botenjungen. Er warf ihm eine Münze zu, während er mit der anderen Hand bereits nach seinem Schwertgehenk griff. Er schnallte es sich rasch um und verließ das Haus. Das Gebäude, in dem er zwei zur Straße hin gelegene Räume im ersten Obergeschoss gemietet hatte, verfügte über einen eigenen Kanalzugang. Doch Valerias Haus war fußläufig schneller zu erreichen, es war nicht allzu weit entfernt. Kaum dass er ins Freie getreten war, verfiel er mit weiten, ausgreifenden Schritten in einen schnellen Trab. Die verwinkelten Gassen und schmalen Brücken hielten ihn nicht davon ab, sich so rasch fortzubewegen, als liefe er durch die afrikanische Savanne. Als er Valerias Haus erreichte, war er kaum außer Atem.
Eines der Mädchen ließ ihn ein. Mit verweinten Augen wich sie zur Seite, als er an ihr vorbeistürmte. Am Fuß der Treppe stieß er auf zwei weitere Mädchen aus Valerias Gefolge, Huren seit ihrer Kindheit, genau wie ihre Herrin. Tuschelnd standen sie beisammen, um gleich darauf zu verstummen, als sie seiner ansichtig wurden.
Er rannte nach oben, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Im Portego brannten Kerzen, deren Licht von den zahlreichen Spiegeln zurückgeworfen und vervielfältigt wurde. Auch hier waren nur Frauen anwesend. Von dem Kreter, der Valeria als Leibwächter diente, war nichts zu sehen. Auch sonst war kein Mann in Sicht, obwohl das Haus um diese Zeit sonst immer voll war. Vermutlich hatten die Besucher allesamt fluchtartig den Schauplatz verlassen, aus Sorge, sich beim Eintreffen der Büttel unangenehmen Fragen auszusetzen oder von den falschen Leuten gesehen zu werden.
Carlo eilte weiter, an den verschreckt dreinblickenden Mädchen vorbei. Die Tür zu Valerias Gemach stand offen, doch er sah sie nirgends, als er den Raum betrat. Im Kamin brannte ein Feuer und erhellte das Gemach, ebenso wie mehrere Kerzen, die auf dem Kaminsims und einer Kommode aufgereiht standen.
Der Bettvorhang bewegte sich, und Carlo zögerte nicht, ihn zurückzureißen. Als er sie sah, stieß er erleichtert die Luft aus. Valeria hockte mit angezogenen Beinen auf der Bettkante, das Gesicht bleich im Schein des züngelnden Kaminfeuers. Ihre Augen waren weit aufgerissen, die Lippen blutleer von dem Schock. Aber sie war am Leben und konnte aufrecht sitzen.
»Carlo!« Leise schluchzend fiel sie in seine Arme, und er brauchte keine zusätzliche Aufforderung, um sie schützend an sich zu ziehen.
Als sie schmerzerfüllt aufstöhnte, drängte er sie vorsichtig zurück. »Der Bote sagte, dass du verwundet bist. Lass mich sehen!«
»Es ist nichts, eigentlich nur ein Kratzer.«
»Das will ich selbst beurteilen.« Er schob ihr aufgelöstes Haar und den Kragen ihres Nachtgewands zur Seite und fand die Verletzung an ihrer Schulter. Valeria hatte recht; die Wunde blutete kaum. Es war kein sonderlich tiefer, dafür aber langer Schnitt, der vom Ansatz des Halses quer über ihr Schlüsselbein bis fast unter die rechte Achsel führte. Doch diese Verletzung war in Carlos Augen nicht so erschreckend wie das Würgemal, das sich wie ein dunkler Ring um ihren Hals zog. Die Spur hatte sich tief
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