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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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schlimmstmögliche Drohung war. «Was gäbe ich jetzt dafür, sie nicht so oft geärgert zu haben», schloss Emma und schaute betrübt aus dem Fenster, hinter dem sich der anmutige Turm der Kirche von Southwark erhob.
    «Sie dürfen sich nicht solche Sorgen machen, Emma», sagte Murray fast flehentlich und trat zögernd einen Schritt auf sie zu. «Ich verspreche Ihnen, dass Sie Ihre verehrte Mutter noch viele Male ärgern werden. Auch Ihren Vater sogar. Ich weiß zwar noch nicht wie, aber ich werde Sie gesund und unversehrt nach New York zurückbringen. Das verspreche ich Ihnen. Und das sage ich in vollem Ernst, Emma.»
    Aus den Augenwinkeln sah Wells, wie Clayton ungläubig grimassierte, was seine Abneigung gegen den jungen Beamten noch verstärkte. Für wen hielt sich dieser Angeber eigentlich? Bislang hatte sich Murray – so ungern er das zugab – als wesentlich hilfreicher gegen die Marsleute erwiesen als der eingebildete Spezialagent von Scotland Yard. Von dessen Eingreifen auf der verlassenen Farm abgesehen, wusste er wirklich nicht, welchen Vorteil es ihnen gebracht haben sollte, diesen unerträglichen Burschen überallhin mitzuschleppen. Zum Glück war die gefühllose Grimasse von den anderen nicht bemerkt worden, die ganz in ihrer dramatischen Szene aufgingen, welche würdig gewesen wäre, von Shakespeare-Versen umrahmt in einem der Fenster der Kirche dort draußen dargestellt zu werden. Emma hatte sich Murray zugewandt und lächelte ihn durch ihre Tränen hindurch an.
    «Ich weiß, dass Sie es ernst meinen, Gilliam.»
    Murray nickte bestätigend.
    «Wollen Sie die Nachbarn nach Ihrer Tante fragen, Miss Harlow?», meldete sich Wells rasch zu Wort. «Vielleicht weiß man in der Pfarrei …»
    «Dafür ist keine Zeit, Mr. Wells», fuhr ihm Clayton dazwischen, dessen ohnehin knapp bemessene Geduld jetzt erschöpft war. «Hören Sie nicht den Kanonendonner, drüben von Lambeth her? Ich bin überzeugt, dass die Kampfmaschinen dort die Verteidigungslinien durchbrechen. Wir müssen fort von hier, so schnell es geht, sonst …»
    Wie um die Ausführungen des Agenten zu untermalen, ließen zwei Explosionen kurz hintereinander den Horizont hinter dem Fenster in grellem Licht aufleuchten. Die dumpfen Einschläge klangen näher, als jedem von ihnen lieb gewesen wäre.
    «Ich habe nicht vor, ganz London nach meiner Tante abzusuchen, meine Herren. Ich habe meine Pflichten als Nichte erfüllt», sagte Emma, als der Donner verklungen war. «Aber wenn es nicht zu viel verlangt ist, Agent Clayton, würde ich gern in mein Zimmer hinaufgehen und mir passendere Kleidung anziehen. Ich besitze ein leichtes Reitkostüm, das mir für die Flucht vor den Marsmenschen angebrachter zu sein scheint. Es wird nicht lange dauern.»
    «Dann los, Miss Harlow, ziehen Sie sich um», gestattete Clayton mit resignierter Miene. «Aber bitte beeilen Sie sich.»
    Mit einem leichten Knicks entschwand die junge Dame die Treppe hinauf, gefolgt von ihrem massigen Beschützer.
    «Sie erlauben doch, dass ich Sie begleite, Miss Harlow?», fragte Murray. «Nur bis zur Tür natürlich.»
    «Oh, selbstverständlich, Mr. Murray», entgegnete Emma. «Sollte meinen Koffern plötzlich ein Marsmensch entsteigen, wären Sie sogleich zur Stelle und könnten uns beide aus dem Fenster werfen.»
    «Aber …, das würde ich nie tun, Miss … Vielleicht mit Wells oder dem Agenten; aber doch nicht mit Ihnen!»
    Wells und Clayton hörten Murrays im Knarren der Treppenstufen untergehende Antwort nicht mehr. Clayton klatschte jetzt so laut in die Hände, dass Wells zusammenfuhr.
    «Also los! Helfen Sie mir, was zum Schreiben zu suchen, Mr. Wells», forderte Clayton ihn auf und machte sich daran, Schubladen aufzureißen und ihren Inhalt zu durchwühlen, als hätte er es auf den Schmuck der alten Dame abgesehen. «Wir wollen die Zeit nutzen, um eine sichere Fluchtroute von hier bis zu dem Ort, an den ich Sie zu bringen gedenke, festzulegen. Wir wollen versuchen, den Weg vorauszusehen, den die Kampfmaschinen nehmen werden; obwohl wir uns dazu der Logik irdischer Militärstrategie bedienen müssen. Und wir müssen natürlich die Größe der Kampfmaschinen berücksichtigen. Ja, so könnten wir es schaffen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Wir benutzen von der Front fortführende Gassen und enge Sträßchen … Teufel auch! Schreibt in diesem Haus denn niemand? Vielleicht in der Bibliothek … Ach, übrigens, Mr. Wells; kennen Sie sich hier in der Gegend aus?»
    «Ich bin

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