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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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hätte die Vorstellung gefallen, dass die Zeit wie ein Fluss war, an dessen Ufern sich eine unveränderliche Landschaft erstreckte; eine Landschaft mit schroffen Bergen und lauschigen Seen im Abendlicht oder mit sanft geschwungenen Hügeln. Irgendwas in der Art. Woraus sie bestand, war letztlich egal, sie musste nur da sein, und zwar nicht nur, wenn er innehielt, sie zu bestaunen, sondern auch, wenn er weiterzuziehen beschloss, sein Boot bestieg und stromaufwärts fuhr oder sich in Gegenrichtung einfach treiben ließ. Was immer er tat, die Landschaft sollte am Ufer festgenäht sein mit Fäden, die unmöglich zu lösen wären. Wie es allerdings aussah, war die Zeit doch kein Fluss. Wenn man irgendwohin ging und glaubte, alles bliebe so, wie man es verlassen hatte, irrte man sich. Charles hätte das nie für möglich gehalten, aber so war es. Er war mit ZEITREISEN MURRAY ins Jahr 2000 gereist, war Zeuge des unerbittlichen Krieges der Zukunft geworden, in dem die Menschen gegen seelenlose Maschinen um die Herrschaft der Erde kämpften, und war dann wieder in seine Zeit zurückgekehrt; eine Zeit, in der man Maschinen hauptsächlich als mechanisches Spielzeug kannte. In jener Gegenwart schlummerte, einer latenten Krankheit gleich, bereits der Samen der Zukunft. Was jedoch zwei Jahre später passiert war, hatte die Gegenwart so grundlegend verändert, dass sie unmöglich eine Zukunft erwarten konnte, wie Charles sie gesehen und für unausweichlich gehalten hatte. Die Welt, wie sie jetzt war, hatte eine andere Richtung eingeschlagen als die ins Jahr 2000 , welches Murray ihnen gezeigt hatte. Charles wusste nicht mehr, wohin die Reise jetzt ging; aber keinesfalls ins Jahr 2000 , dachte er, als er sich zitternd von seinem Strohsack erhob und zu seiner Zellentür humpelte. Von dort aus schaute er bedrückt auf die Welt draußen und stieß einen tiefen Seufzer aus. Auch heute war er nicht aus dem Albtraum erwacht, den er zu durchleben schien. Und wie zur Bestätigung dieses Eindrucks strichen seine Finger über das seltsame Band, das man ihm um den Hals geschlossen hatte.
    Die Morgendämmerung hatte noch nicht eingesetzt, doch am Horizont begann sich die Dunkelheit bereits zu schälen, und eine matte, kupferfarbene Helligkeit kroch über die Ebene, auf der sich die gewaltige Eisenkonstruktion erhob, die sie für die Marsmenschen bauen mussten. Mittlerweile wusste man zwar, dass die Invasoren nicht vom Mars kamen; aber da man nicht wusste, woher sie kamen, nannten die meisten sie weiter so wie am Anfang, vielleicht auch in der Hoffnung, die Eindringlinge damit beleidigen zu können.
    Charles betrachtete den Turm mit dem bisschen Zorn, den die körperliche Erschöpfung noch zuließ, die ihm so tief in den Knochen saß, dass sie schon zu einem Teil von ihm geworden war. Wie er gehört hatte, war die eiserne Pyramide eine Maschine, die, wenn sie fertig war, den Sauerstoff in der Luft in ein Element umwandeln sollte, das weniger schädlich für die Invasoren war. Die Umwandlung der Luft war eines der vielen Projekte, mit denen die Marsmenschen die Erde veränderten und auf die heißersehnte Ankunft des Imperators vorbereiteten, der das Universum mit dem ganzen Rest ihres Volkes in gewaltigen Raumschiffen durchquerte, in deren Bäuchen sie alles mitbrachten, was ihr Leben ausmachte. Die Handvoll Invasoren, die mühelos den Planeten erobert hatte, war nur eine kleine Vorhut gewesen.
    Am Rand der Ebene, neben den Ruinen der einst größten Stadt der Welt, befand sich das Lager der Marsmenschen; eine unregelmäßige Anordnung silber glänzender, wulstiger, hüttenartiger Bauten, in denen die untergebracht waren, die das Arbeitslager beaufsichtigten, in dem er, Charles Winslow, Gefangener war. Charles hatte keine Ahnung, ob der Anführer der Invasion auch dort wohnte, wusste aber, dass Lager wie dieses in ganz England und überall auf der Welt errichtet worden waren, denn zwei Jahre nach Beginn der Invasion konnte man behaupten, dass die Erde vollkommen kapituliert hatte. Nachdem die Invasoren London in ein Trümmerfeld verwandelt hatten, machten sie mit anderen Städten in England weiter, so wie ihre Brüder es in Europa und auf allen anderen Kontinenten taten, ohne auf mehr Widerstand zu treffen als die lästigen Scharmützel, die das allmächtige britische Empire ihnen geliefert hatte. So waren Paris, Rom, Barcelona, Athen gefallen … Jetzt war die Erde unterworfen, Millionen von Menschen hatten den Tod gefunden, und die wenigen,

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