Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
Vom Netzwerk:
besiegen können. Und falls dies geschieht, sind die Informationen, die ich auf den folgenden Seiten zusammentragen will, vielleicht nicht ganz unschuldig daran. Sollte ich mich jedoch irren und meine Eingebung nichts als das törichte Wunschdenken eines armen Irren sein, ist dieses Tagebuch vielleicht das einzige Zeugnis, das daran erinnert, dass die Erde nicht immer den Marsmenschen, oder was diese Kreaturen sonst sein mögen, gehört hat. Nein, jahrhunderte- und jahrtausendelang hat die Erde dem Menschen gehört, der sich am Ende auch für den Herrn und Beherrscher des Universums gehalten hat.
    Nur einige außergewöhnliche Geister, wie der Schriftsteller H. G. Wells, dessen Angedenken ich diese Seiten widme, haben den Kosmos aus der richtigen Perspektive zu sehen gewusst. Und nur so konnten sie erkennen, dass wir nicht nur nicht seine einzigen Bewohner sind, sondern wahrscheinlich auch nicht einmal die fortschrittlichsten. Wells hat es mit seinem Roman
Krieg der Welten
in alle Himmelsrichtungen hinausgeschrien. Aber arrogant, wie sie waren, haben seine Zeitgenossen das Werk nur als simplen Zukunftsroman gelesen. Kein Mensch hat daran gedacht, dass so etwas in Wirklichkeit passieren könnte. Nicht einer. Ich auch nicht, wie ich zugeben muss. Aber nicht, weil ich uns für die Einzigen in der Welt hielt, sondern weil ich die Zukunft gesehen hatte, die unsere Enkel erwartet. Ja, ich hatte das Jahr 2000 gesehen, und da gab es keine Spur von Marsmenschen.
    Als die Invasion begann, befand ich mich im Bordell von Madame M***, dem exquisiten Lusttempel, den ich mindestens einmal die Woche aufzusuchen pflegte. Die
St. James’s Gazette
hatte in mehreren Sonderausgaben vom Auftauchen merkwürdiger Maschinen auf der Gemeindewiese von Horsell, dem Golfplatz von Byfleet und in der Nähe von Sevenoaks berichtet sowie auch in Enfield und Bexley, wenn ich mich recht entsinne. Im Laufe der Berichterstattung erfuhren wir, dass es sich um Kampfmaschinen handelte, denn einige hatten das Feuer auf die Neugierigen eröffnet, die zusammengelaufen waren, um sie zu begaffen. Dann waren sie auf einer Art Stelzenbeinen in Richtung London marschiert und hatten mit ihren schrecklichen Hitzestrahlen eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Trotzdem gab es nichts zu befürchten, hieß es in den Nachrichten, denn in London erwartete sie gut vorbereitet die mächtige britische Armee, die ihnen einen blutigen Empfang bereiten würde. Die ganze Stadt war mit einem Ring von Feldkanonen aus Woolwich und Aldershot und von schweren Geschützstellungen umgeben, hochwirksame Munition wurde gleich nach der Produktion ausgeliefert und verteilt, und auf der Themse patrouillierten sogar Torpedoboote und Zerstörer, die es gar nicht abwarten konnten, dass die Schlacht begann.
    In der Bevölkerung weckten diese Nachrichten mehr Neugier und Spannung als Furcht. Viele Einwohner Londons hatten sich in die Vorstädte begeben, um die als spektakulär beschriebenen Kämpfe zu beobachten, um zu sehen, wie die Armee den Feind vernichtete, von dem behauptet wurde, er käme aus dem All und stamme vom Mars. Die Neugierigen wurden jedoch vom Militär zurückgeschickt und mussten das Feuerwerk, mit dem unsere Soldaten die Eindringlinge empfangen würden, erst einmal vergessen. Aus Sicherheitsgründen durfte niemand London verlassen, sogar die Bahnhöfe waren von der Regierung geschlossen worden. Allein die Flüchtlinge durften in die Stadt hinein; all jene, die aus Molesey, Walton, Weybridge und anderen nahe gelegenen Ortschaften geflohen waren und jetzt die Straßen mit einer wahren Flut von Fahrzeugen – hoffnungslos überladen mit Hausrat und Gepäck – die Straßen verstopften. Wie es aussah, waren in den umliegenden Orten schreckliche Verwüstungen angerichtet worden, aber dennoch glaubte niemand, dass wir die bevorstehende Schlacht verlieren könnten. In der letzten Ausgabe der
St. James’s Gazette
wurde berichtet, dass die Telegraphenverbindungen unterbrochen waren, sodass wir – da keine Nachrichten mehr eintrafen – gespannt abwarteten, was passieren würde.
    Verständlicherweise beunruhigte dies die Leute, doch übermäßige Sorgen machte man sich nicht. Ich selbst, muss ich gestehen, war vollkommen unbesorgt. Schließlich war ich absolut überzeugt davon, dass diese seltsamen Kampfmaschinen von unserer Armee zerstört würden, bevor sie auch nur einen Schritt in die Stadt setzen konnten. Die Marsmenschen, oder wer immer sie waren, würden vernichtet

Weitere Kostenlose Bücher