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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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werden, daran konnte kein Zweifel bestehen. Anders konnte es gar nicht sein; nicht nur, weil sie auf lächerlichen Stelzenbeinen anmarschiert kamen, anstatt uns aus der Luft anzugreifen, wie Wells es beschrieben hatte. Sie würden vernichtet werden, weil die Zukunft es so wollte. Weil es geschrieben stand. So Furcht erregend die Eindringlinge auch wirkten und so unüberwindlich sie uns erscheinen mochten, ich kannte das Ende der Geschichte und konnte unmöglich auch nur die geringste Beunruhigung empfinden, höchstens verächtliches Mitleid für all jene, die, unfähig, zwei und zwei zusammenzuzählen, unnötigerweise schon um ihr Leben fürchteten. Unbekümmert, wie ich also war, ging ich meinem geregelten Alltag nach.
    Unglücklicherweise sah meine Frau Victoria sich außerstande, meine Sorglosigkeit zu teilen, obwohl sie mit mir zusammen ins Jahr 2000 gereist war und da nicht die geringste Erinnerung an eine Marsinvasion hatte feststellen können. Zu meinem großen Unverständnis wollte sie den Ausgang der Schlacht in der Villa meines Onkels in Queen’s Gate abwarten, zusammen mit meinem Cousin Andrew, ihrer Schwester und einigen unserer Freunde. Auch von ihnen hatte keiner einsehen wollen, dass es keinen Grund zur Sorge gab, dass die Armee die Eindringlinge besiegen würde, sobald sie sich London nur näherten. Daran konnte es keinen Zweifel geben, weil … sie sie ja bereits vernichtet
hatten
.
    Unfähig, mich mit dieser Handvoll verschreckter Kinder zu verstecken, ohne mir lächerlich vorzukommen, verließ ich das Haus meines Onkels. Auf den Straßen und in den Kneipen drängten sich die Menschen, überall standen sie beisammen und diskutierten, schienen jedoch mehr Neugier als Furcht zu verspüren für das, was sich vor den Toren der Stadt abspielte. So streifte ich ziellos umher, als ich sah, wie Leute sich um den Karren eines Flüchtlings drängten, der in wirren Worten berichtete, wie er der furchtbaren Zerstörung auf wundersame Weise entronnen war. Seinen Zuhörern stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Die armen Teufel hatten keinen Blick ins Jahr 2000 werfen können, und daher war ihre Furcht – wenn auch grotesk – in gewisser Weise doch gerechtfertigt. Ich hingegen hatte die Zukunft gesehen und beschloss, wie gesagt, das Bordell von Madame M*** aufzusuchen; mein Lieblingsetablissement wegen der Exotik seiner
Ware.
Einen besseren Ort konnte ich mir gar nicht vorstellen, um die Niederschlagung der Invasion abzuwarten. Hinterher würde ich nach Queen’s Gate fahren, mit einem Lächeln auf den Lippen Victoria abholen und der Versuchung widerstehen, sie wegen ihres nicht sehr ausgeprägten Scharfsinns mit einer spöttischen Bemerkung zu beschämen. Vielleicht würde ich sie sogar zum Essen ausführen, als Ausgleich für die Angst, die sie unnötigerweise ausgestanden hatte.
    Im Bordell betrat ich den großen, üppig ausgestatteten Empfangssalon, dessen Stirnseite eine Imitation der
Geburt der Venus
schmückte, die zwar nicht so klassisch, dafür aber um vieles sinnlicher war als die von Botticelli. Der wohlduftende, intime Salon lag verwaist da. Das war ungewöhnlich. Kein Mensch auf den Diwanen und Poufs, wo gewöhnlich die Prostituierten lachend mit ihren Kunden plauderten und mit ihnen aus langen Pfeifen Opium rauchten. Auch hinter den schweren Vorhängen – wo man hin und wieder Honoratioren der Stadt in einem Meer aus Kissen und schwellender Weiblichkeit treibend erblickte – sah ich keine einzige verräterische Bewegung. Nicht einmal die sonst so gekonnt schmachtend umhergleitenden Frauen zeigten an jenem Tag ihre unter durchsichtigem Tüll verborgenen Reize. Die meisten saßen düster schweigend herum und wirkten trotz ihrer Diademe und Federboas wie auf einer Totenwache. Die trübsinnige Ödnis, die sich hier ausbreitete, behagte mir gar nicht; doch dann nutzte ich die Gelegenheit und griff mir zwei der gefragtesten Mädchen, die gar nicht verstehen konnten, wie ich unter den gegebenen Umständen einen Ständer bekam. Ich schenkte ihnen ein mildes Lächeln: «Was gibt es denn Schöneres, als in euren Armen zu sterben?» Hinterher nahm ich mir einen Apfel aus der Obstschale, die neben dem Bett stand, knabberte aber nur lustlos daran herum. Das Zusammensein war ganz vergnüglich gewesen, aber ich hatte bemerkt, dass die Mädchen mit den Gedanken woanders waren. Die Invasion bedrückte sogar diese unglücklichen armen Hasen.
    Und dann hörte ich die erste Explosion. Weit entfernt noch,

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