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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Durch die dichte Qualmwolke, die die Einschläge verursacht hatten, hörten wir das Kreischen von Metall und sahen einen wahren Splitterregen von Eisen und Teile eines der beiden Zwillingsschornsteine in die Höhe schießen. Plötzlich hörte das Geschützfeuer auf, der Pulverdampf verzog sich, und wir sahen den brennenden und qualmenden Zerstörer wie einen toten Vogel auf dem Wasser treiben. Zwei der Kampfmaschinen nahmen jetzt die Albert Bridge unter Feuer und sprengten sie mit ihren Donnerpfeilen in tausend Stücke. Eine Handvoll Menschen, die über die Brücke in Richtung Chelsea zu fliehen versuchten, wurde zerfetzt und durch die Luft gewirbelt und regnete mit einem Hagel von Gesteinsbrocken in die Themse. Die Überreste der Brücke bildeten eine Art Barrikade, die das diesseitige Szenario des Grauens von der jenseits tobenden Schlacht trennte. Wir sahen zu, wie die Kampfmaschinen in das brodelnde Wasser der Themse stiegen und mit dem schwankenden Gang gespenstischer alter Männer durch den Fluss zu stapfen begannen. So unsicher sie auf ihren langen Beinen durch die Fluten staksten, so offensichtlich war doch, dass sie – da kein Schiff mehr ihren Vormarsch aufhalten konnte – uns schon bald erreicht haben würden.
    Die ungeduldigste von ihnen schoss einen Hitzestrahl auf unser Ufer ab. Der Einschlag riss etwa fünfzehn Schritte von mir entfernt den Kai in Stücke und verwandelte die Menschen, die dort gestanden hatten, in lebende Fackeln und verkohlte Klumpen. Wir Übrigen rannten in kopfloser Flucht davon und suchten uns in den nächsten Querstraßen in Sicherheit zu bringen. Wieder wurde ich von den Massen mitgerissen, ohne jeden Überblick, in welche Richtung es ging. Vor mir sah ich ein kleines Mädchen stürzen und von der blind hastenden Menge überrannt werden; ich hörte die kleinen Knochen unter meinen Füßen brechen, die ihren Lauf nicht zu stoppen vermochten. Nach diesem Vorfall versuchte ich mit verzweifelter Kraft, dem reißenden Menschenstrom zu entkommen, in den ich unfreiwillig geraten war. Eine wilde Gier nach selbstbestimmtem Handeln erfüllte mich, und so drückte ich mich an eine Hauswand und ließ die wahnsinnige Horde an mir vorbei, bis ich allein auf der Straße war; allein mit den niedergetrampelten Toten. Dann versuchte ich, einen klaren Gedanken zu fassen. Nachdem ich mich orientiert hatte, schlug ich die Richtung nach South Kensington ein und achtete darauf, mich unterwegs nicht von Panik übermannen zu lassen. Ab und zu innehaltend und lauschend, woher die Explosionen kamen, gelang es mir, den Kampfmaschinen und auch den Menschenmassen auszuweichen, die sich immer noch vor ihnen in Sicherheit zu bringen suchten. Auf Nebenstraßen schlich ich mich durch den Stadtteil, bis ich endlich die Cromwell Road erreichte. Ich weiß nicht, wie lange ich brauchte, um dorthin zu gelangen; aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Ich war völlig erschöpft und zitterte am ganzen Leib, nahm jedoch erleichtert zur Kenntnis, dass es in Queen’s Gate noch ruhig war und die herrschaftlichen Stadthäuser unversehrt die Straße säumten.
    Ich lief zum Haus meines Onkels und stürzte atemlos keuchend in die Eingangshalle. Zu meiner Überraschung fand ich keinen Menschen im ganzen Erdgeschoss, sodass ich die breite Marmortreppe hinaufstolperte, die ins erste Obergeschoss führte, wo allerdings auch niemand war. Bevor ich kehrtmachte, warf ich unwillkürlich einen Blick durch die großen Fenster nach draußen, wo sich mir der schaurige Anblick von Chelsea und Brompton bot und mir eine Vorstellung vom ganzen Ausmaß der Zerstörung gab, die da über uns hereinbrach. Konnte das wirklich noch aufgehalten werden?, fragte ich mich, als ich auf Dutzende rötlich lichternder Rauchsäulen starrte, die aus den Trümmerbergen der umliegenden Stadtteile gen Himmel stiegen. Auf der anderen Themseseite loderte ein wahrer Flammenvorhang. Die Kampfmaschinen zogen wie eine Heuschreckenplage durch die Stadt. Bald würden sie auch hier sein und alles, was noch stand, in Schutt und Asche legen. Ich seufzte in ohnmächtigem Zorn und versuchte, mir Mut zu machen, indem ich mir einredete, dass – auch wenn es nicht danach aussah – noch nicht alles verloren war. Früher oder später würde jemand der Invasion Einhalt gebieten. Jemand, der sich irgendwo verborgen hielt und auf seinen Moment wartete, um einzugreifen.
    Ich ging wieder ins Erdgeschoss hinunter und rief, so laut ich konnte, um mich bemerkbar zu machen. Meine

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