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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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strich liebkosend über das eingearbeitete Wappen – einen buckelnden schwarzen Kater auf einem stilisierten Felsen. Wenngleich sie die Zweifel immer wieder zu verdrängen vermochte, fragte sie sich doch von Tag zu Tag häufiger, ob Wulf überhaupt Wert darauf legte, sie wiederzusehen.
     

Kapitel 6
     
    Ulm, Ende Oktober 1349
     
    Der Duft in der Gästeküche, in der der fassähnliche Camerarius einem biblischen König gleich über eine wahre Heuschreckenplage an Köchen und Helfern herrschte, war betörend. Wann immer sie den lang gestreckten Raum mit dem halben Dutzend Brotöfen und Kochfeuern betrat, wünschte sich Anabel, mit Vren, die mit mehligen Händen Brezeln in einen Bottich voller Lauge tunkte, tauschen zu können. Da es von der Küche aus keinen Zugang zu den Dormitorien der Mönche gab, war die Anwesenheit von weiblichen Hilfskräften hier unproblematisch, und wenn Vren nicht im Hospital gebraucht wurde, ging sie der Tätigkeit nach, die sie von ihrer Mutter gelernt hatte. Mit staunend aufgerissenen Augen verfolgte Anabel, die sich in dem steifen, weißen Ärmelrock der Beginen immer noch unwohl fühlte, wie eine Handvoll Novizen die bereits auf riesigen Zinnplatten aufgetürmten Gerichte mit den selbst hergestellten Lebensmittelfarben einfärbte. Mit beiden Händen träufelten sie aus kleinen Tongefäßen Petersiliensaft auf ein knusprig gebratenes Spanferkel, sodass dieses einen satten Grünton annahm, der in dramatischem Kontrast zu der mit Safran verfeinerten, karmesinroten Hühnerpastete stand. Rechts und links dieser Köstlichkeiten warteten blaues Morchelmus – aus zerstoßenen Blüten der Akelei hergestellt – sowie schwarzes Birnen- und Apfelmus, die ihre Färbung verbrannten und zerriebenen Lebkuchenstückchen verdankten, darauf, von den Novizen ins Abthaus geschafft zu werden, dessen Fenster bereits hell erleuchtet waren.
    Hoden vom Bock, Augen vom Ochsen, sowie der Jahreszeit entsprechende gebratene Hirschkälber wetteiferten mit einem Fischallerlei, das als einzige Speise dem Fastentag Freitag angemessen war. Das alles wurde ergänzt durch eine Vielzahl von Krügen, in denen Wacholderbier, Obstweine, Ingwerbier und der kostbare Clarêt darauf harrten, die Mägen der hungrigen und durstigen Gäste zu füllen. Da Anabel selbst noch nie in den Genuss dieses überaus teuren Getränkes gekommen war, tauchte sie ungeniert den Zeigefinger in eine kleine Lache, die beim Umfüllen in den Krug zurückgeblieben war, und lutschte neugierig daran. Der aus pulverisiertem Zimt, Ingwer, Paradieskörnern, Nardenwurzeln, Gewürznelken und Safran hergestellte, mit Honig versetzte Trunk hinterließ einen solchen Geschmackswirrwarr auf ihrer Zunge, dass sie nicht sicher war, ob ihr der Wein schmeckte oder nicht.
    »Du bist nicht hier, um dir den Bauch vollzuschlagen«, frotzelte Vren, der Anabel ihre Sorgen gebeichtet hatte. Da es sich bei dem Anlass jedoch tatsächlich um ein von Abt Franciscus ausgerichtetes Festmahl für die führenden Bürger der Stadt handelte, hatten sich die Bedenken der jungen Frau zerstreut, und sie blickte der Aufgabe beinahe freudig entgegen. Wie oft geschah es schließlich, dass man den wichtigsten Männern Ulms über die Schulter blicken durfte? Sie schmunzelte in sich hinein. Nein, es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzulügen. Es waren vielmehr die köstlichen Speisen und Getränke, von denen mit Sicherheit mehr als genug übrig bleiben würde, die ihre Stimmung hatten umschlagen lassen.
    »Es geht wohl um den Bau der neuen Kirche«, hatte Vren, der es scheinbar mühelos gelang, die Geheimnisse der Abtei in Erfahrung zu bringen, sie mit einem Augenzwinkern informiert. »Gib also gut acht. Vielleicht erfährst du etwas Interessantes.«
    »Los, los, trödelt hier nicht herum!«, riss die Stimme des beleibten Camerarius sie aus ihrer Unterhaltung. Und bevor sie begriff, wie ihr geschah, drückte ihr jemand zwei Krüge schäumenden, nach Muskatnuss und Tannenholz duftenden Haferbiers in die Hand, dem eine Platte voller Latwerge folgte, den Anabel auf den beiden Gefäßen aus der Küche balancierte. Diese Delikatesse aus eingemachten Früchten und eingedickten Fruchtsäften, deren Wassergehalt durch stundenlanges Kochen so weit reduziert wurde, dass nur noch eine zähflüssige Substanz übrig blieb, wurde der Tradition folgend unter Zugabe von Honig und erlesenen Gewürzen in hauchdünnen Scheiben luftgetrocknet. Nur mühsam der Versuchung widerstehend, eine der blutrot

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