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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , Alfred Ruhemann
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Das einzige in ihrer Erregung andauernde Gefühl galt der Unendlichkeit dieses Zustandes. Die anderen wollten sie nicht davon befreien; sie hatte eine Wut gegen die Hebamme, gegen Pauline, gegen Veronika, und beschuldigte sie nicht zu wissen, was man zu tun habe. Frau Bouland schwieg. Sie warf flüchtige Blicke auf die Stutzuhr, obgleich sie den Arzt nicht vor einer weiteren Stunde erwartete, denn sie kannte die boshafte Langsamkeit des Pferdes. Die Erweiterung ging ihrer Vollständigkeit entgegen, der Durchbruch des Wassers stand bevor, und sie überredete die junge Frau, sich niederzulegen. Dann bereitete sie dieselbe vor.
    »Erschrecken Sie nicht, wenn Sie sich durchnäßt fühlen... Um des Himmels willen, rühren Sie sich nicht mehr. Ich möchte jetzt nichts überstürzen.«
    Luise blieb während einiger Sekunden regungslos. Es bedurfte einer außerordentlichen Willenskraft, um den ungeregelten Stößen des Leidens zu widerstehen; ihr Übel wurde dadurch gesteigert, bald konnte sie nicht weiter kämpfen, sie sprang mit einem verzweifelten Rucke ihrer Glieder aus dem Gurtbette. In dem nämlichen Augenblicke, in dem ihre Füße den Teppich berührten, wurde ein dumpfes Geräusch, wie das Platzen eines Schlauches hörbar, ihre Beine wurden durchnäßt, und zwei große Flecke erschienen auf dem Pudermantel.
    »Da haben wir es«, sagte die Hebamme und fluchte zwischen den Zähnen.
    Obgleich Luise darauf vorbereitet worden war, blieb sie dennoch zitternd auf der nämlichen Stelle stehen und betrachtete diesen ihr entströmenden Fluß mit einem Entsetzen, als sehe sie den Pudermantel und Teppich mit ihrem Blute begossen. Die Flecke blieben jedoch farblos, der Fluß hatte plötzlich aufgehört, sie beruhigte sich. Man legte sie rasch nieder. Sie empfand eine so plötzliche Ruhe, ein so unerwartetes Wohlbefinden, daß sie mit heiterer, siegesbewußter Miene sagte:
    »Das quälte mich. Jetzt leide ich gar nicht mehr. Ich wußte wohl, daß ich im achten Monate nicht niederkommen konnte. Es wird im nächsten Monate sein. Ihr habt alle nichts verstanden, weder die einen noch die anderen.«
    Frau Bouland nickte mit dem Kopfe, sie wollte ihr diesen Augenblick der Ruhe nicht durch die Antwort verderben, daß die großen Schmerzen des Ausstoßens kommen würden. Sie unterrichtete nur Pauline mit leiser Stimme und bat sie, sich an die andere Seite des Gurtbettes zu stellen, um einen möglichen Sturz zu verhindern, falls die Wöchnerin sich wälze. Als jedoch die Schmerzen wiederkamen, versuchte Luise nicht einmal sich zu erheben: sie fand nunmehr weder Verlangen noch Kraft dazu. Bei dem ersten Wiedererwachen des Übels war ihre Haut bleifarben geworden, ihr Gesicht hatte den Ausdruck der Verzweiflung angenommen. Sie hörte auf zu sprechen, sie verschloß sich in diese endlose Qual, in der sie nunmehr auf niemandes Hilfe rechnete, fühlte sich auf die Dauer so verlassen, so elend, daß sie sofort sterben zu können wünschte. Jetzt war es nicht mehr das unwillkürliche Zusammenziehen, das ihr seit zwanzig Stunden die Eingeweide zerrissen hatte; es waren grimmige Anstrengungen ihres ganzen Wesens, Anstrengungen, die sie nicht zurückhalten konnte, ja, die sie selbst, durch ein unwiderstehliches Bedürfnis, sich zu befreien, herausforderte. Der Druck ging von dem unteren Teil der Flanken aus, stieg in das Kreuz und endete an den Schamleisten in einer Art unaufhörlich erweitertem Zerreißen. Jeder Muskel des Leibes arbeitete, spannte sich um die Hüften mit spiralfederartigen Zusammenziehungen und Ausdehnungen; selbst die des Gesäßes und der Schenkel waren in Tätigkeit und schienen sie für Augenblicke von der Matratze hoch zu heben. Ein Erzittern verließ sie nicht mehr, sie wurde vom Oberkörper bis zu den Knien derart von breiten schmerzhaften Wogen erschüttert, daß man diese hintereinander unter der Haut daherrollen sah. »Das nimmt also kein Ende, mein Gott? Das nimmt also kein Ende?« murmelte Pauline.
    Dieser Anblick beraubte sie ihrer gewöhnlichen Ruhe und ihres sonstigen Mutes. Sie drückte selbst nach in einem eingebildeten Bedürfnis bei jedem der Seufzer einer atemlosen Arbeiterin, mit dem die Gebärende ihre Arbeit begleitete. Die erst dumpfen Schreie wurden nach und nach lauter, schwollen zu Wehklagen der Abspannung und Ohnmacht an. Es war das die Wut, das verzweifelte Ächzen des Holzhauers, der seit Stunden mit seiner Axt auf den Ast einschlägt, ohne auch nur die Rinde durchgeschlagen zu haben.
    Nach jedem

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