Die Lennox-Falle - Roman
überblickte. Als er die Mauer erreichte, schweifte sein Blick über die Szene, die sich unten darbot: Ein Zufluchtsort der Reichen der Welt, der jetzt im Lichterglanz der dort vor Anker liegenden Luxusjachten und Kabinenkreuzer erstrahlte. Ihn erfüllte kein Neid; er war bloß ein Beobachter, dem jegliche Eifersucht fremd war, weil sein Beruf es gelegentlich erforderte, sich mit den Eignern dieser Luxusfahrzeuge zu befassen, ihre Lebensweise zu beobachten und häufig auch noch etwas tiefer zu bohren. Das reichte aus. Wenn man sie überhaupt in eine Schublade tun wollte, dann waren sie Verzweifelte, stets auf der Suche nach neuen Interessen, neuen Erfahrungen und neuem Nervenkitzel. Dieses beständige Suchen wurde ihre Realität, eine Suche ohne Ende, die immer wieder zu einer neuen, anderen Suche führte. Sie hatten ihren Luxus und brauchten ihn, denn der Rest war Langeweile, ein stetiges Warten auf neue Reize, die sie beschäftigen konnten. Was nun? Und was dann?
» Allô, Monsieur«, sagte eine Stimme aus der Dunkelheit. »Sind Sie der Freund der Bruderschaft?«
»Ihre Sache ist zum Scheitern verurteilt«, sagte Moreau ohne sich umzudrehen. »Das habe ich Ihren Leuten hundertmal gesagt, aber wenn ihr mich weiterhin so großzügig unterstützt, werde ich tun, was ihr von mir verlangt.«
»Unsere Blitzkriegerin, die Frau am Casinotisch. Sie haben sie weggebracht. Was ist geschehen?«
»Sie hat sich selbst das Leben genommen, so wie die anderen beiden vor Monaten im Gefängnis. Wir haben bei der Leibesvisitation die Zyankalikapsel übersehen.«
»Sehr gut. Sie hat Ihnen nichts verraten?«
»Wie hätte sie das tun können? Sie hat die Damentoilette nicht lebend verlassen.«
»Dann brauchen wir nichts zu befürchten?«
»Im Augenblick nicht. Ich erwarte für meine Bemühungen die übliche Überweisung nach Zürich. Morgen.«
»Das wird geschehen.«
Die Gestalt tauchte wieder in der Dunkelheit unter, und Moreau griff in seine Brusttasche und schaltete sein Tonbandgerät ab. Ungeschriebene Verträge bedeuteten nichts, solange ihre Verletzung nicht dokumentiert werden konnte.
Basil Marchand, Mitglied des Oberhauses, hieb den bronzenen Briefbeschwerer mit solcher Gewalt auf seinen Schreibtisch, daß die Glasplatte darauf zersprang, und Splitter durch den Raum flogen. Der Mann, der ihm gegenüberstand, trat einen Schritt zurück und wandte dabei kurz sein Gesicht ab.
»Wie können Sie es wagen?« schrie der ältere Herr, dessen Hände vor Wut zitterten. »Meine Vorfahren haben sich seit dem Krimkrieg wegen ihrer Tapferkeit vor dem Feind ausgezeichnet. Mein Großvater ist wegen seiner Leistungen im Burenkrieg von einem jungen Journalisten namens Churchill gerühmt worden. Wie können Sie auch nur daran denken, mir gegenüber jetzt so etwas anzudeuten.«
»Verzeihen Sie mir, Lord Marchand«, sagte der MI-5-Beamte ruhig und ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, »Ihre Familie hat wegen ihrer militärischen Leistungen in diesem Jahrhundert verdientermaßen Anerkennung erfahren. Aber es hat doch eine Ausnahme gegeben, nicht wahr? Ich meine damit Ihren älteren Bruder, der zu den Gründern der Cliveden-Gruppe gehörte, die eine ziemlich hohe Meinung von Adolf Hitler hatte.«
»Den haben wir aus der Familie ausgestoßen!« sagte Marchand wütend. »Verschonen Sie mich mit den verblendeten Vorstellungen eines Bruders, den ich kaum gekannt habe - und das wenige, was ich wußte, hat mir nicht gefallen. Wenn Sie ordentlich recherchiert hätten, sollten Sie wissen, daß er England 1940 verlassen hat und nie zurückgekehrt ist. Wahrscheinlich hat er
sich in einem Versteck auf einer dieser Südseeinseln zu Tode getrunken.«
»Ich fürchte, das ist nicht ganz richtig«, sagte sein Besucher. »Ihr Bruder tauchte unter einem anderen Namen in Berlin auf und war während des ganzen Krieges im Propagandaministerium tätig. Er hat eine Deutsche geheiratet und hatte, wie Sie, drei Söhne -«
»Was …?« Der alte Mann sank langsam in seinen Sessel zurück. »Das hat man uns nie gesagt«, fügte er dann so leise hinzu, daß es kaum zu hören war.
»Das hätte wenig Sinn gehabt. Nach dem Krieg verschwand er mit seiner ganzen Familie vermutlich nach Südamerika, in eine dieser deutschen Enklaven in Brasilien oder Argentinien. Da er nicht offiziell auf der Liste der Kriegsverbrecher stand, wurde nicht gegen ihn ermittelt, und in Anbetracht der Verluste, die die Marchands erlitten haben -«
»Ja«, unterbrach ihn Lord
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