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Die Leopardin

Titel: Die Leopardin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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militärische Formalitäten für Zeitverschwendung hielt.
    »Ich sehe es dir am Gesicht an, dass die Sache schiefgegangen ist«, sagte Percy.
    Das Mitgefühl in seiner Stimme gab Flick den Rest. Die ganze Tragik der Ereignisse überwältigte sie mit einem Schlag, und sie brach in Tränen aus. Thwaite nahm sie in die Arme und tätschelte ihr den Rücken, während Flick ihr Gesicht in seiner alten Tweedjacke vergrub. »Ist ja schon gut«, sagte er. »Ich weiß doch, dass du alles nur Menschenmögliche getan hast.«
    »O Gott, es tut mir so leid, ich bin eine solche Gans...«
    »Ich wünschte mir, dass alle meine Männer solche Gänse wären«, sagte Percy mit stockender Stimme.
    Flick befreite sich aus seiner Umarmung und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
    Percy wandte sich ab und schnauzte sich in ein großes Taschentuch. »Tee oder Whisky?«, fragte er.
    »Tee, glaube ich.« Flick sah sich um. Der Raum wirkte schäbig. Seit das Büro 1940 in aller Eile eingerichtet worden war, hatte sich nichts darin verändert: ein billiger Schreibtisch, ein ausgetretener Läufer, Stühle, die nicht zueinander passten. Flick ließ sich in einen durchhängenden Sessel fallen. »Wenn ich jetzt Alkohol trinke, schlafe ich sofort ein.«
    Sie beobachtete Thwaite, während er den Tee zubereitete. Der Mann konnte knallhart sein – und sehr mitfühlend. Im Ersten Weltkrieg hoch dekoriert, hatte er sich in den Zwanzigerjahren zu einem mitreißenden Gewerkschaftsfunktionär gemausert. Er gehörte zu den Veteranen der Cable-Street-Schlacht von 1936; damals hatten Cockneys einen Marsch der Faschisten durch ein jüdisches Viertel im Londoner East End angegriffen. Percy würde ihr zwar bohrende Fragen zu ihrem neuen Plan stellen, ihn jedoch ohne Vorurteile begutachten.
    Er reichte ihr eine große Tasse Tee mit Milch und Zucker. »Wir haben heute am späteren Vormittag eine Konferenz«, sagte er. »Ich muss dem Boss bis Punkt neun einen Bericht vorlegen, daher die Eile.«
    Flick trank den süßen Tee in kleinen Schlucken und spürte sofort einen angenehmen Energieschub. Sie berichtete, was sich auf dem Stadtplatz von Sainte-Cecile zugetragen hatte. Thwaite setzte sich an seinen Schreibtisch und machte sich mit einem frisch gespitzten Bleistift Notizen. »Die Aktion hätte abgeblasen werden müssen«, schloss sie. »Nach Antoinettes Zweifeln an den Geheimdienstinformationen hätte ich den Angriff verschieben und dir über Funk mitteilen müssen, dass wir in Unterzahl sind.«
    Percy schüttelte traurig den Kopf. »Die Zeit duldet keine Aufschübe. Es sind wahrscheinlich nur noch ein paar Tage bis zum Beginn der Invasion. Angenommen, du hättest dich gemeldet – ich glaube nicht, dass sich etwas geändert hätte. Was hätten wir schon unternehmen können? Verstärkung hätten wir dir jedenfalls keine schicken können. Ich denke, du hättest den Befehl bekommen, trotzdem anzugreifen. Ein Versuch musste zumindest gemacht werden. Diese Fernmeldezentrale ist einfach zu wichtig.«
    »Wenigstens ein kleiner Trost.« Glück im Unglück, dachte Flick. Ich brauche mir nicht länger vorzuwerfen, dass Albert sterben musste, weil ich einen taktischen Fehler begangen habe. Aber das bringt ihn uns auch nicht mehr zurück.
    »Und Michel?«, wollte Percy wissen. »Wie geht es ihm jetzt?«
    »Es ist ihm peinlich. Aber er kommt schon wieder auf die Beine.«
    Als die SOE Flick anwarb, hatte sie niemandem er zählt, dass ihr Mann in der Resistance war. Hätten ihre Vorgesetzten Bescheid gewusst, wäre sie vermutlich irgendwo anders eingesetzt worden. Genau gewusst hatte sie es im Übrigen selbst nicht, nur vermutet.
    Im Mai 1940, als die Deutschen Frankreich überrollten, war sie zu Besuch bei ihrer Mutter in England gewesen und Michel, wie die meisten tauglichen jungen Franzosen, in der Armee. Bei der Kapitulation Frankreichs hatten sie also in zwei verschiedenen Ländern festgesessen. Als Flick später als Geheimagentin nach Frankreich zurückkehrte und dort über die neue Rolle ihres Mannes in der Resistance informiert wurde, hatte man schon zu viel in ihre Ausbildung investiert. Sie hatte sich für die SOE unentbehrlich gemacht, weshalb kein Mensch mehr auf den Gedanken kam, sie wegen hypothetischer emotionaler Ablenkungen zu entlassen.
    »Eine Kugel im Hintern ist ja auch widerlich«, sagte Percy Thwaite nachdenklich. »Die Leute müssen ja zwangsläufig denken, dass man davongelaufen ist.« Er erhob sich. »So, und jetzt gehst du lieber nach Hause und

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