Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
hartes Pflaster, so heiß wie Kalkutta, fast schon ein menschenfeindlicher Ort. Und ich muss sagen, als ich anfing, hier zu arbeiten, hatte ich eine Erkältung nach der anderen. Mein Arzt meinte, die Temperaturschwankungen hätten mein Immunsystem geschwächt … Aber wie geht’s Amanda und den Kindern?«
»Gut. Sind immer noch auf ihrem Wohnwagencampingplatz bei Aylesbury. Man hat ihnen noch nicht erlaubt, nach Fulham zurückzukehren. Die Kinder schwimmen zur Schule.« Sie grinste ihn an. »War nur ein Witz! Mit meiner eigenen Arbeit läuft’s ganz gut.«
»Bei diesem Tauchprojekt, nehme ich an.«
»Nur Vorarbeiten momentan, größtenteils in England.«
Sie fuhren in Richtung Innenstadt; die Wolkenkratzer des Zentrums ragten vor ihnen auf. Houston schien ein Mischmasch aus Wohnvierteln, Industriegebieten und Einkaufszentren zu sein. Es sah ein wenig veraltet aus, dachte Lily, als stammte das Gros der Gebäude aus den 1960er Jahren. Sie sah Rasensprenkler, die mit einem robust wirkenden, dickhalmigen Gras bewachsene Flächen berieselten.
Piers’ Verhalten und sein Akzent hatten sich kein bisschen verändert, obwohl er seit vielen Monaten in Texas lebte; er war noch immer kühl-distanziert und ironisch, ein Brite aus der Offizierskaste. Nur sein Blick ging hin und wieder ins Leere;
offenbar flüsterte ein Angel oder dessen neuestes militärisches Gegenstück in seinem Kopf. Selbst in Lilys Gesellschaft blieb er für sich, allein. Aber er war glatt rasiert, hatte ordentlich gestutztes Haar, klare Augen und sah gesünder aus denn je.
»Wie ich sehe, hast du dich inzwischen hier eingewöhnt, Piers. Nette Shorts, übrigens.«
Er hob die Augenbrauen. »Meine Shorts sind strapazierfähig und gepflegt, besten Dank.«
»Dir gefällt das Leben hier?«
»Na ja, die Amerikaner sind immer freundlich. Und Houston hat viele Facetten, finde ich. Es gibt jetzt sogar ein iranisches Viertel, wirklich erstaunlich. Aber was ich am meisten mag, ist die Weite . Nur eine Stunde bis zur Küste des Golfs, nur eine Tagesfahrt in der anderen Richtung, und schon ist man in der Wüste oder den Bergen … Das Wichtigste ist natürlich die Arbeit. Eine sinnvolle Beschäftigung ist von großer Bedeutung für das Lebensgefühl, stimmt’s?«
»Gar keine Frage. Ich habe die Dämme aus der Luft gesehen.«
»Sie reden von einem Sturmflutwehr weiter draußen, eine Reihe von Toren, die das Themse-Sperrwerk in den Schatten stellen würden. Typisch für die verdammten Texaner. Aber sie haben ja auch eine Menge zu schützen. Bei der Detailarbeit, die ich gemacht habe, ging es größtenteils um Houstons Petrolandschaft.«
Der Schutz des Golfs war das Projekt einer öffentlichprivaten Partnerschaft, eine gemeinsame Aufgabe von Regierungen, Ölgesellschaften und anderen Multis. Piers war der Leiter einer Austauschgruppe aus Großbritannien, die die Erkenntnisse, die man bei der Sicherung britischer Ölanlagen,
wie Canvey Island, gewonnen hatte, auf die hiesigen, weitaus größeren Probleme anwandte.
»Du würdest nicht glauben, welche Ausmaße die ganze Angelegenheit hat, Lily. Das hier ist die größte Konzentration petrochemischer Raffinerie- und Speicheranlagen in der Welt. Hundert Kilometer Tanks und Cracktürme, von Houston bis zur Küste.«
»Und alles vom Meer bedroht.«
»Ganz recht.« Piers zog eine Augenbraue hoch. »Galveston Island beispielsweise erhebt sich nur ganze drei Meter über den Meeresspiegel - ich meine, über das alte Normalnull. Houston ist sogar noch schlechter dran. Es wurde ursprünglich auf Marschland erbaut, und wegen des Öls und Wassers, das man hier so lange aus dem Boden gepumpt hat, gibt es etliche Senken. An manchen Stellen liegt die Stadt sogar unter dem alten Meeresspiegel. Nun, wir wissen, dass der durchschnittliche globale Anstieg bereits bis zu fünf Meter beträgt. Wenn das Meer tatsächlich durchbräche - tja.« Er räusperte sich, dann fuhr er fort; seine Stimme klang sorgenvoll. »So gewaltig dieses Projekt auch sein mag, es ist nur ein kleiner Einzelaspekt im Gesamtbild. Man muss sich klarmachen, dass dies eine globale Krise ist und dass sie eine Welt trifft, die bereits unter dem Klimawandel, der Energieknappheit und den ideologischen Spannungen leidet. Wir versuchen, die Angelpunkte zu retten.«
»Die Angelpunkte?«
»Du wärst überrascht, wie abhängig das weltweite Netz der Energie- und Materialströme von ein paar Schlüsselelementen ist. Getreidesilos, Kraftwerke, Ölquellen und
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