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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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Dartford befolgen wir genau wie in allen anderen Männer- und Frauenklöstern die Regula Benedicti   – die Schwestern versammeln sich täglich zu acht festgesetzten Zeiten zum Gebet. Es beginnt mit der Matutin, dann folgen Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper und schließlich die Komplet, das Nachtgebet. Auch die Messe wird gelesen. Wir psalmodieren und wir singen. Wir beten für das Seelenheil der Toten.«
    Er kniff die Augen zusammen. »Und wenn jemand dem Kloster genug bezahlt, bekommt er ein paar Gebete dafür? Für die Rettung seiner Seele meinetwegen oder die Vergebung von Sünden, die er vielleicht noch gar nicht begangen hat?«
    Jetzt verstand ich seine Feindseligkeit. Das waren die Gedanken jener, die die katholische Kirche vernichten wollten, die schworen, dass Erlösung allein durch den Glauben erlangt werden konnte.
    Mit einem spöttischen Lachen sagte er: »Mir hat einmal jemand erzählt, dass Nonnen Latein lernen, dass sie Bücher studieren und sogar selbst welche schreiben.«
    »Es ist wahr«, sagte ich, meinen Zorn nur mühsam bezähmend.
    Der Hauptmann blieb stehen. »Da sitzen diese reichen Mönche und Nonnen jahrelang in ihren Klöstern und singen und schreiben und beten ihre lateinischen Gesänge herunter, und was kommt dabei heraus? Was soll damit erreicht werden? Das Fegefeuer ist nichts als Aberglaube; das sagt die neue Lehre. All diese Bittgesänge in den Klöstern, um die Qualen des Fegefeuers zu verkürzen   –« Sein Gesicht drückte höhnische Verachtung aus. »Wenn wir sterben, treten wir augenblicklich vor Gott, unseren Schöpfer und Richter.«
    Ich wich vor ihm zurück, vor seinem Hass und seinen ketzerischen Worten, den Worten eines Lutheraners.
    Meine Reaktion entging ihm nicht. Ein Lächeln breitete sich inseinem Gesicht aus, als er sich näher zu mir neigte. »Ich weiß, was Ihr denkt. Ich bin kein Anhänger Luthers, aber in Bezug auf die Frauen hat er die richtige Einstellung. ›Die Weiber haben häuslich zu sein, sollen stille sitzen, das Haus führen und Kinder gebären, denn dafür sind sie geschaffen.‹ Das ist meiner Meinung nach ihre einzige Bestimmung.«
    »Und nun, da ich Eure Meinung gehört habe«, versetzte ich schroff, »würde ich gern in meine Zelle zurückkehren.«
    Mit einer leichten Verbeugung folgte er meinem Wunsch.
    Eines Abends öffnete der Himmel seine Schleusen, und der Regen fiel in Strömen auf den Tower hinunter. Donner krachte. Ich stand dicht an den Fenstern, um die kühlen Tropfen aufzufangen, die mein Gesicht wie Nadelstiche trafen, als die Tür aufflog und Bess mit meinem Essen auf der Schwelle stand. Bei meinem Freudenschrei lachte sie über das ganze breite pockennarbige Gesicht.
    Ihr Dienstplan hatte sie ferngehalten, erklärte sie, während ich aß. Susanna war für die Gefangenen im Beauchamp Tower zuständig, und ihr selbst oblag der Dienst im White Tower, wo sie jederzeit zu Lady Kingstons Verfügung stehen musste. »Lady Douglas beschäftigt uns Tag und Nacht. Ich habe nie in meinem Leben so viel zu tun gehabt.«
    »Lady Douglas?«
    »Ja, sie ist eine Nichte des Königs. Aus Schottland. Wusstet Ihr das nicht? Sie ist seit Monaten hier. Sie hatte sich ohne die Einwilligung des Königs mit einem Herrn bei Hof verlobt, da hat er sie beide hierherbringen lassen. Kein Mitglied der königlichen Familie darf allein entscheiden, wen es heiratet. Wegen der Erbfolge.« Bess seufzte. »Sie ist so schwer zufriedenzustellen, weil   –«
    Der Rest ihrer Worte ging in einem dröhnenden Donnerschlag unter.
    »Wieso bist du gar nicht nass vom Regen?« Ich musterte verwundert ihre trockenen Kleider.
    »Die Gebäude sind durch unterirdische Gänge verbunden«, erklärte sie. »Aber ich kann nicht lange bleiben. Das wäre verdächtig. Ich konnte nur auf einen Sprung herkommen, weil Susanna heute frei hat, um ihre Familie in Southwark zu besuchen.«
    »Aber wie steht es um mich? Was hast du gehört?«
    »Nicht ein Wort«, antwortete sie. »Ich spitze jeden Tag die Ohren, aber Lady Kingston spricht nie von Euch. Genauso wenig wie alle anderen.«
    Zwei Wochen später fand Bess erneut eine Gelegenheit, um mich zu besuchen, und auch diesmal hatte sie nichts zu berichten. »Es ist ganz sonderbar, als wärt Ihr überhaupt nicht hier«, sagte sie.
    Genau so war es.
Ich existiere nicht mehr
, dachte ich, während ich Bess’ Klagen über Lady Douglas und ihre Weinkrämpfe nur mit halbem Ohr zuhörte.
    Die Sommerhitze ließ nach. Die Nächte wurden kühler. Eines

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