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Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
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kann, bei Kindern unter drei Jahren unmöglich ist, und Erbrow ist zwei. Mit anderen Worten, sie sagt, was sie denkt. Wenn Euch also«, fuhr er fort, »in dem, was sie sagt, etwas unangenehm ist, dann bleibt Euch nur eins, nämlich Euer Verhalten so zu ändern, dass sich die Meinung, die sie von Euch hat, bessert.«
    »Mein Herr, ich pflichte Euch bei, sie ist ein Kind, und obendrein zum Teil menschlich, das heißt, sie vereinigt sämtliche Unvollkommenheiten in sich, und da ist klar, dass ihr selbst die elementarsten Grundregeln der Höflichkeit unbekannt sind, doch wenn ich mich recht entsinne, gibt es ausgezeichnete und höchst wirksame Systeme, wie man sowohl Kindern als auch Hundejungen in kürzester Zeit Manieren beibringt und sie lehrt, vor ehrbaren Personen den Mund zu halten.«
    Yorsh sah die Phönixhenne an, und auch die Gewissheit, dass er niemals davon träumen würde, jemanden zu erwürgen, war zusammengebrochen, und damit war auch seine Geduld am Ende.
    »Madame«, begann er eisig und wunderte sich selbst über den Klang seiner Stimme, so ungewohnt war er ihm, »untersteht Euch nie wieder, nie wieder will ich hören …«
    Ein Schwall von Tränen unterbrach ihn, von so herzzerreißender Qual erfüllt, dass Erbrow sich die Ohren zuhielt. Da war überhaupt kein Gekreisch oder Gezeter mehr, nur die grenzenlose Trauer einer verzehrenden Einsamkeit, einer unvordenklichen und untröstlichen Verlassenheit.
    »Mein Herr! Seid gütig. Seid groß, erweist Euch Eures Namens würdig, nehmt meine bescheidene Person mit aufs Festland! Erweist Euch Eurer Sippe würdig! Habt Erbarmen! Wie könnt Ihr mich hier zurücklassen, elend und gebeugt unter der Last meiner Jahre, der Last schmerzlicher Erinnerungen, längst vergangener Lieben, alles aus und vorbei, verschlungen von der Zeit, verschluckt von der Unterwelt?«
    Es war ein sanftes Klagen, das Mitleid einflößte. Yorsh fühlte, wie sich sein Herz zusammenzog.
    Der Schmerz in dieser Klage lähmte ihn.
    So unerträglich sie auch sein mochte, die Phönixhenne war ein uraltes Lebewesen, das er im Begriff war auf einer öden Insel zurückzulassen.
    Schon allein dass er auf einen so grausamen Gedanken hatte kommen können, erschütterte ihn. Er fragte sich, was seine Mutter und sein Vater von ihm denken würden, wenn sie von seiner Grausamkeit wüssten, und zum ersten Mal in seinem ganzen Leben verspürte er ein Gefühl der Scham, zum ersten Mal in seinem ganzen Leben war er froh, dass seine Eltern ihn nicht sehen konnten.
    Er gab nach und beeilte sich, die Phönixhenne zu beschwichtigen. Er versprach ihr, dass sie sie mitnehmen würden aufs Festland, und die Wehklagen beruhigten sich, wenn auch nur langsam. Erbrow war still, ihre Puppe in Händen und mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck.
     
    Mit Erbrow auf dem Arm stieg Yorsh den Hügel hinunter. Er kitzelte ihr die Fußsohlen, die Kleine hob den Kopf von seiner Schulter und lachte, froh über die wiedergefundene Nähe zum Vater.
    Die schwachen Wehklagen der Phönixhenne verstummten langsam.
    »Nein tschip tschip ham ham uns. Aua uns«, wiederholte Erbrow hartnäckig.
    Auch wenn ihre Sprache noch holprig war, Erbrows Logik war einwandfrei. Die Phönixhenne war ein bösartiges Geschöpf, und das Beste wäre gewesen, sie zu lassen, wo sie war.
    »Ich bringe es nicht über mich, sie hierzulassen. Wir müssen sie mitnehmen.«
    »Nein«, sagte das Mädchen entschieden, mit einer über jeden Zweifel erhabenen Sicherheit. »Tschip tschip ham ham uns aua. Nein tschip tschip ham ham uns.«
    »Sie ist ein unerträgliches Geschöpf, das ist gar nicht zu leugnen, aber schau mal, sie ist ein sehr altes Geschöpf, so alt wie die Drachen, und daher … zwangsläufig unerträglich, aber auch kostbar. Lange Zeit hindurch haben auf der Welt die Drachen, die Phönixe und die Greifen geherrscht, bevor die Götter die Gabe des Wortes allein dem Menschen vorbehielten, und es ist schwer einzusehen für sie und kränkt sie, dass von ihrer einstigen Größe vielleicht nur Dünkel übrig geblieben ist. Dieses Geschöpf ist kostbar, weil es sehr alt ist, es trägt das Gedächtnis der Welt in sich. Und, was noch wichtiger ist, es ist in der Lage, Schmerz zu empfinden. Seine Gegenwart ist eine Plage, das stimmt, aber es ist … wie soll ich sagen … diese Phönixhenne ist imstande zu leiden. Sie ist unglücklich und wir … wir sind verantwortlich für das Leid der Welt, und daher auch für die Phönixhenne, so bösartig sie auch sein mag,

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