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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Männer durch und durch schlecht sind und nur existieren, damit man sie benutzt.«
    Moira hielt inne, um eine Weile nachzudenken. »Die anderen Sachen, die ich ihr beibringen wollte, daß sie andere und das Gesetz achtet, eine gute Bürgerin wird, ordentlich arbeitet – man könnte sagen, der schwierigere Teil der Botschaft –, sind einfach an ihr abgeprallt. Und wir wohnten in der Bronx. Ich ahnte, daß sie üble Sachen machte, aber ich hatte mein eigenes Leben; die Männer kamen und gingen. Langsam haben sich meine Kanten abgeschliffen, und manchmal habe ich sogar davon geträumt, mich wieder mit Mario zusammenzutun, obwohl der sich inzwischen in einen Frauenhelden verwandelt hatte. Clare hat sich damals immer noch einmal pro Woche mit ihm getroffen. Er hat ihr Geld gegeben, mehr Geld, als irgendein Polizist in New York je erübrigen könnte. Wofür sie das ausgab? Ich habe mich nicht getraut, sie zu fragen. Ich habe mir nur immer wieder ihren Körper, ihre Augen, ihre Hautfarbe angeschaut. Soweit ich das beurteilen konnte, hat sie nichts wirklich Schlimmes angestellt. Sie ist sogar Skateboardfahren gegangen im Central Park. Sie hatte eine ausgezeichnete Körperbeherrschung. Das hat mich getröstet.«
    Moira warf den Rest ihrer Zigarette auf den Boden und trat sie aus. »Hier ist es wirklich schön, Charlie. Ich bin ganz weg, wenn ich mir vorstelle, daß ich vor fünf Tagen noch gar nicht an diesen Augenblick und an diese Reise gedacht habe. Wo war ich stehengeblieben?«
    »Bei Clare.«
    »Genau. Tja, als ich sie das erste Mal dabei erwischte, wie sie mit einem anderen Mädchen schlief, war ich richtig schockiert.«
    »Mit einem anderen Mädchen?« Chan runzelte die Stirn. Es gab viele Chinesen, die die männliche Homosexualität als westlichen Import der jüngsten Vergangenheit betrachteten. Die lesbische Liebe war eher etwas Exotisches, fast wie ein Mythos. Was trieben Lesbierinnen eigentlich?
    »Genau. Meine katholische Erziehung und meine sechzehn Jahre bei der Polizei hatten mich nicht auf so etwas vorbereitet. Aber ich habe mich zurückgehalten, mir eingeredet, daß das nur eine Phase ist. Aber offen gestanden war ich enttäuscht. Ich hatte schon kein Problem mehr mit Schwulen, das ist für mich keine moralische Frage, aber bei Clare empfand ich es als … verdammt egoistisch.«
    »Ah, ja.«
    »Tja, aber so war’s nun mal. Wir springen jetzt in ihr achtzehntes Lebensjahr, da macht sie den High-School-Abschluß. Inzwischen war sie zu einer schönen, jungen Frau herangewachsen, zu einer schönen, jungen Lesbierin. Aber sie war schlau. Sie hatte eine ganze Menge Tricks auf der Straße gelernt und wollte auf keinen Fall zur New Yorker Polizei. Sie hatte erkannt, daß die Welt immer noch fast ausschließlich von Männern kontrolliert wurde und sie als Lesbierin in den meisten konventionellen Jobs keine große Chance haben würde. Also ging sie zu ihrem Vater, der sich mittlerweile noch stärker mit der Mafia eingelassen hatte.
    Er war abhängig von der Mafia, ein Captain der New Yorker Polizei, aber Millionär. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihn erwischten, aber das war ihm inzwischen egal. Er würde ein paar Jahre absitzen müssen, nicht zu viele, und dann würde er in den Ruhestand gehen. Wie konnte er einer jungen Frau helfen, die gerade dabei war, in die richtige Welt hineinzuschnuppern? Er dachte, sie braucht Geld, aber das war’s nicht. Sie wollte auch rein, in die Mafia.«
    Wieder schwieg Moira. Chan merkte, daß sie sich immer mehr zurückzog, je mehr sie sich ihren Erinnerungen hingab. Er fragte sich, was als nächstes käme. Er wollte sie nicht verlieren, wollte noch eine Nacht ihre liebevolle Berührung, ihre Reife spüren. Allzuviel hatte er davon in seinem Leben noch nicht abbekommen. Also zog er sie näher zu sich heran, und sie lächelte dankbar.
    »Natürlich habe ich damals vieles von dem, was ich dir jetzt erzähle, noch nicht so klar gesehen. Ich überspringe einfach ein paar Jahre der Nachforschung und ein ganzes Jahrzehnt der Gewissensprüfung. Mario hat Clare erklärt, daß die Mafia keine Frauen nimmt, jedenfalls nicht auf höherer Ebene. Schließlich handelt es sich um eine ausgesprochen altmodische Organisation. Nun, ich weiß nicht, wie sie es dann doch zur Geliebten von einem der Topleute von den Corleones gebracht hat, aber Mario muß sie eingeführt haben. Das kann ich ihm nicht verzeihen. Außerdem habe ich keine Ahnung, wie sie es geschafft hat, dem Kerl im Bett

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