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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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aufgetragen, Sie zu frischem Hummer und einer Flasche Boutaris einzuladen. Weiß und kalt, sagt er. Ich habe auch noch andere Nachrichten von ihm. Er wird außer sich sein, wenn Sie seine Einladung abschlagen, und auch verletzt.« Das war zuviel. Er war ihr eigener dunkler Engel, der die Seele forderte, die sie sorglos verpfändet hatte. Ob er log, ob er von der Polizei war oder ein gewöhnlicher Erpresser - sie würde ihm bis hinunter in die Unterwelt folgen, wenn er sie zu Michel brachte. Auf den Absätzen kehrtmachend, kam sie langsam die Treppe zur Rezeption herunter.
    »Humphrey.« Sie warf den Schlüssel auf den Rezeptionstisch, nahm ihm den Bleistift aus der widerstandslosen Hand und schrieb den Namen CATHY auf den vor ihm liegenden Block. »Eine Amerikanerin. Kapiert? Eine Freundin. Wenn sie anruft, sagen Sie ihr, ich sei mit sechs Liebhabern losgezogen. Sagen Sie ihr, vielleicht käme ich morgen zum Lunch vorbei. Kapiert?« wiederholte sie.
    Sie riss das Blatt vom Block, stopfte es ihm in die Brusttasche und gab ihm dann einen flüchtigen Kuss, während Mesterbein mit dem aufgesetzt-steinernen Unmut des Liebhabers wartete, der für heute abend Anspruch auf sie erhob. Vor der Tür holte er eine schöne Schweizer Taschenlampe hervor. In deren Lichtkegel erkannte sie den gelben Hertz-Aufkleber an der Windschutzscheibe seines Wagens. Er machte die Tür am Beifahrersitz auf und sagte »Bitte schön«, doch sie ging ungerührt an ihm vorbei auf ihren Fiat zu, stieg ein, ließ den Motor an und wartete. Zum Fahren, es fiel ihr auf, als er vor ihr herging, trug er eine schwarze Baskenmütze, deren Rand ganz gerade war wie bei einer Badekappe, nur dass seine Ohren dadurch abstanden.
    Wegen der Nebelfelder fuhren sie langsam in Kolonne hintereinander her. Oder vielleicht fuhr Mesterbein immer so, denn er hatte den undurchdringlich-aggressiven Rücken des gewohnheitsmäßig vorsichtigen Fahrers. Sie fuhren einen Hügel hoch und dann in nördlicher Richtung über freies Moor. Der Nebel lichtete sich, die Telegrafenmasten standen wie eingefädelte Nadeln vorm Nachthimmel. Ein zerrissener griechischer Mond spähte kurz aus den Wolken heraus, ehe er wieder nach hinten hineingezerrt wurde. An einer Straßenkreuzung hielt Mesterbein, um auf der Karte nachzusehen. Schließlich wies er nach links, zuerst mit seiner Taschenlampe, dann mit einer kreisenden weißen Hand. Jawohl, Anton, hab’ schon verstanden. Sie folgte ihm einen Hügel hinunter und durch ein Dorf; sie kurbelte ihr Fenster herunter und ließ den Salzgeruch des Meeres herein. Der Luftzug riss ihr in einem Schrei den Mund auf. Sie folgte ihm unter einem zerfetzten Banner hindurch, auf dem stand: »East West Timesharer Chalets Ltd.«, dann eine schmale neue Straße durch die Dünen zu einer stillgelegten Zinnmine hinauf, die sich vorm Himmel abhob, wie für eine Anzeige: »Besuchen Sie Cornwall«. Links und rechts von ihr Holzbungalows; nirgends Licht. Mesterbein stellte seinen Wagen ab, sie parkte hinter ihm und ließ wegen des abschüssigen Geländes den Gang drin. Die Handbremse ächzt wieder, dachte sie; muss noch mal zu Eustace. Er stieg aus; sie tat das gleiche und verschloss ihr Auto. Der Wind hatte sich gelegt; sie befanden sich auf der windabgekehrten Seite der Halbinsel. Kreischend zogen Möwen über ihnen ihre Kreise, als hätten sie auf dem Boden etwas Wertvolles verloren. Die Taschenlampe in der Hand, griff Mesterbein nach ihrem Arm, um sie zu führen. »Lassen Sie mich«, sagte sie. Er stieß eine Pforte auf, sie quietschte. Vor ihnen ging ein Licht an. Kurzer Betonweg, blaue Tür mit dem Namen Sea-Wrack darauf. Mesterbein hielt einen Schlüssel bereit. Die Tür ging auf, er trat vor ihr ein, trat beiseite, um sie einzulassen, ein Immobilienmakler, der einem möglichen Kunden das Haus zeigt. Es gab keinen Vorbau und irgendwie keine Warnung. Sie folgte ihm hinein, er schloss die Tür hinter ihr, sie stand in einem Wohnzimmer. Sie roch feuchte Wäsche und sah schwarze Schimmelflecke an der Decke. Eine große blonde Frau in einem blauen Kordanzug steckte eine Münze in den elektrischen Zähler. Als sie eintraten, sah sie sich mit einem strahlenden Lächeln rasch um, sprang dann auf und strich dabei eine Strähne langer goldblonder Haare zurück.
    »Anton: Ach, zu reizend. Sie haben mir Charlie gebracht! Charlie, willkommen. Und Sie sind mir doppelt willkommen, wenn Sie mir zeigen, wie dieser unmögliche Apparat funktioniert.« Sie packte Charlie bei den

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