Die Libelle
sie werde sie heute selbst bedienen. »Haben Sie sich schon wieder mit einem verheirateten Mann eingelassen?« schrie sie ihr ins Ohr, als sie ihr das Shampoo ins Haar rieb. »Sie sehen gar nicht gut aus, wissen Sie das? Sind Sie unartig gewesen und haben Sie jemand den Mann ausgespannt? Was machen Sie denn bloß, Charlie?«
Drei Männer, sagte Bibi, nachdem Charlie sie so weit hatte, dass sie mit der Sprache rausrückte. Gestern.
Behaupteten, von der Steuer zu sein, wollten Bibis Buch mit den Voranmeldungen und ihre Abrechnungen über die Mehrwertsteuer sehen.
Dabei war es ihnen einzig und allein darum gegangen, sie wegen Charlie auszuhorchen.
»›Wer ist hier diese Charlie?‹ fragen sie mich. ›Dann kennen Sie sie also gut, Bibi, oder?‹ - ›Klar‹ , sag’ ich. ›Charlie gutes Mädchen, Stammkundin.‹ - ›Soso, Stammkundin, ja? Dann redet sie auch über ihre Freunde, ja? Mit wem geht sie denn gerade? Mit wem schläft sie?‹ Reden davon, dass du Urlaub gemacht hast - mit wem du gehst, wo du in Griechenland warst. Ich sag’ ihnen keinen Ton. Auf Bibi kannst dich verlassen.« Doch an der Tür, nachdem Charlie schon bezahlt hatte, war Bibi doch ein bisschen zickig geworden, und das war vorher noch nie der Fall gewesen. »Bleib vorerst mal ‘ne Weile weg, okay? Will keine Scherereien haben. Mag die Bullen nicht.«
Ich weiß Gott auch nicht, Bib. Glaub mir. Und diese drei Hübschen schon gar nicht. Je früher die Behörden Wind von dir kriegen, desto früher zwingen wir die anderen, was zu unternehmen , hatte Joseph ihr versprochen. Doch dass es so gehen würde, hatte er nicht gesagt.
Als nächstes, keine zwei Stunden später, kam der hübsche Junge. Sie hatte irgendwo einen Hamburger gegessen und war dann trotz des Regens spazierengegangen; sie hatte nämlich die alberne Vorstellung, solange sie sich bewege, sei sie sicher und im Regen sogar noch sicherer. Sie ging in Richtung Westen, dachte vage an Primrose Hill, doch dann besann sie sich eines Besseren und sprang in letzter Minute auf einen Bus. Wahrscheinlich war es Zufall, doch als sie zur Bushaltestelle zurückblickte, sah sie keine fünfzig Schritt hinter sich einen Mann in ein Taxi steigen. Und als sie die Szene im Geist noch einmal abspulte, war ihr, als wäre der Zeiger am Taxameter bereits herunter gewesen, ehe er den Wagen herangewinkt hatte.
Tu nichts, was der Fiktion widerspricht, bleib bei der ihr innewohnenden Logik , hatte Joseph ihr wieder und wieder eingebleut. Ein Patzer, und die ganze Operation ist im Eimer. Halte dich an die Fiktion, und wenn alles vorbei ist, bringen wir den Schaden wieder in Ordnung .
Wie gehetzt, war sie drauf und dran, bei der Kostümschneiderin Schutz zu suchen und zu verlangen, dass Joseph augenblicklich zu ihr kam. Was sie letztlich davon abhielt, war ihre Treue zu ihm. Sie liebte ihn ohne Scham und ohne Hoffnung. Er war in der Welt, in der er für sie das Unterste zuoberst gekehrt hatte, die einzig ihr noch verbliebene Konstante in der Fiktion ebenso wie in der Wirklichkeit. Infolgedessen ging sie ins Kino, und dort versuchte dann der Schönling, sich an sie ranzumachen, und ums Haar hätte sie es zugelassen. Er war groß und keck, hatte einen langen neuen Ledermantel an und eine Omabrille auf der Nase, und als er während der Pause in der Reihe immer näher rückte, ging sie blöderweise davon aus, dass sie ihn kennte und, da sie so durcheinander war, nur nicht auf seinen Namen käme. Also erwiderte sie sein Lächeln.
»Hallo, wie geht’s?« rief er, als er endlich auf dem Platz neben ihr saß. »Charmian, stimmt’s? Meine Güte, waren Sie phantastisch in Alpha Beta voriges Jahr! Wirklich umwerfend. Bedienen Sie sich«, sagte er und reichte ihr die Tüte mit Popcorn. Plötzlich passte überhaupt nichts mehr zusammen: sein unbekümmertes Lächeln nicht zu der totenkopfähnlichen Kinnlade, die Omabrille nicht zu seinen Rattenaugen, das Popcorn nicht zu den gewienerten Schuhen und der trockene Ledermantel nicht zum Wetter. Er war wie aus heiterem Himmel aufgetaucht und hatte offenbar nichts anderes im Sinn, als sie anzumachen.
»Soll ich den Geschäftsführer rufen, oder gehen Sie ohne Aufhebens?« fragte sie.
Er ließ sich jedoch nicht abwimmeln, protestierte, grinste geziert, fragte, ob sie denn durch nichts zu erweichen sei, doch als sie ins Foyer stürmte, um jemand zu Hilfe zu holen, war das Personal verschwunden wie Schnee im Sommer; nur eine kleine Schwarze an der Kasse war da, und die tat so,
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