Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
durcheinanderbringe.«
»Das würde mir gefallen.« Er küsste sie lachend und knabberte an ihrem Hals.
Mit einem mädchenhaften Kichern entwand sie sich seinen Armen. »Hör auf damit. Dazu hast du keine Zeit mehr.«
»Später?«
»Vielleicht.«
»Verrätst du mir irgendwann, was es heißt?«
»Vielleicht auch das. Aber jetzt musst du gehen, denn sonst kommst du wieder zu spät zum Schach mit Darrin.«
Alderan goss sich mit den hohlen Händen warmes Wasser über Gesicht und Hals und wusch den letzten Rest von Seife ab, dann betrachtete er sein Bild in dem Spiegel über dem Waschtisch. Schon besser. Sein Bart endete nun in einer sauberen Linie unter dem Kinn, und er hatte ihn auf den Wangen abrasiert, so dass er symmetrisch war. Viel besser. Er drehte den Kopf nach links und rechts und suchte nach stehen gebliebenen Büscheln. Aha.
Er nahm das Rasiermesser, beugte sich zum Spiegel vor und hielt den Kopf schräg. Vorsichtig setzte er das Messer an die Haut.
Wächter .
Verdammt! Er warf das Messer in die Schale und starrte das dünne blutrote Rinnsal an, das nun hinunter in seinen Bart lief.
Ja?
Ich bitte um Vergebung für mein Eindringen . Der Akzent war rhythmisch wie Vogelgesang, und die Farben, die sich ihm zeigten, waren wie Meeresgischt und Sonnenschein über Aquamarinblau. Es war kein Muster, das er kannte.
Ich bin K’shelia, die Schiffssängerin der Morgenstern . Ich habe eine Botschaft für dich vom Torwächter .
Von Masen? Was machte er auf einem Meerelfenschiff? Ein Schauer überlief ihn. Alderan richtete sich auf; der Schnitt an seiner Wange war vergessen. Ich höre, Herrin.
Rufe den Rat zusammen. Der Schleier fällt .
Bei allen Heiligen und Engeln! Ist das die ganze Botschaft?
Ja, Wächter. Die Morgenstern wird Pencruik in zwei Tagen erreichen, wenn die Winde es wollen. Wir werden so schnell wie möglich reisen.
Ich verstehe. Danke, Schiffssängerin. Unser Orden steht tief in deiner Schuld.
Hast du eine Botschaft an den Torwächter?
Sage ihm, dass ich tun werde, worum er mich bittet. Wir werden zusammenkommen, sobald er eintrifft. Ich bete zur Göttin, dass wir nicht zu spät dran sind.
Ausgezeichnet. Bis zu unserem Treffen, Wächter, wünsche ich dir alles Gute .
Die Meerelfe war verschwunden. Alderan stützte sich auf den Waschtisch und senkte den Kopf. Nun, alles endete irgendwann. Die Menschen konnten den Zeitpunkt nicht bestimmen. Allerdings hätte er sich gewünscht, dass es nicht so schnell kam und er sich besser darauf hätte vorbereiten können. Er würde aus dem, was ihm zur Verfügung stand, das Beste machen. Sein Blut tropfte ungehindert vom Hals ins Wasser, bildete dünne Schlieren und verschwand aus Alderans Blick.
Das dritte Buch war unvollständig.
Ansel legte es in den Schoß und rieb sich die Augen. Dem Datum oben auf der Seite zufolge endete das Tagebuch unvermittelt am Vorabend der Schlacht beim Strömenden Fluss. Es war bekannt, dass Malthus sie überlebt hatte, wenn auch verletzt, warum also hörte der Text hier auf? Die ersten beiden Bände waren mit seinen Gedanken und Beobachtungen vollgestopft, was also hatte ihn veranlasst, plötzlich die Feder beiseitezulegen? War das Buch bei dem wilden Angriff verlegt oder von seinem Haushofmeister in Sicherheit gebracht und später irgendwie übersehen worden? Hatte er vielleicht in einem neuen Notizbuch weitergeschrieben, und bedeutete das, dass noch irgendwo im Archiv ein weiterer Band zwischen den Apokryphen schlummerte?
Ansel murmelte einen Fluch, den er zuletzt auf dem Schlachtfeld benutzt hatte, und schickte ihm sogleich ein Gebet um Vergebung für die Grobheit seiner Sprache hinterher, auch wenn er sicher war, dass die Göttin seine Enttäuschung verstand. Wie grausam das Schicksal sein konnte, indem es ihn zuerst auf den richtigen Weg führte und sich ihm dann so kurz vor dem Ziel in den Weg stellte. Wie bitter die Enttäuschung doch schmeckte.
Er blätterte ein paar Seiten zurück und las die letzten Eintragungen. Malthus’ Beschreibungen vom Marsch auf Mesarild waren notgedrungen kurz, aber selbst diese wenigen Worte, die am Ende des Tages hastig aufgeschrieben worden waren, waren von großer Eindringlichkeit. Ansel spürte die Verzweiflung, war entsetzt über die Beschreibung vom Sturz vollkommen erschöpfter Männer und Pferde, die einfach liegen gelassen werden mussten, weil die Legionen nicht anhalten konnten. Die Männer waren durch die Nacht marschiert, bis ihnen das Blut aus den Stiefeln quoll. Sie
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