Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
schwarzen Augen ansahen. Sie hatten keine Worte, mit denen sie ein Dankgebet sprechen konnten, aber er war sich sicher, dass sie Seelen hatten, und so dankte er der Göttin an ihrer Stelle mit einem Gebet für die wilden Kreaturen und stellte den Besen weg.
Als er den Verschlag schloss, hörte er Schritte von der anderen Seite des Kreuzgangs. Er drehte sich um und sah, wie einer der Geistlichen vorsichtig über die vereisten Steinplatten auf ihn zuschritt.
»Ein Brief für Euch, Kaplan!«, rief er und schwenkte das Pergament. »Er ist eigentlich für den Präzeptor, aber der Mann hat gesagt, dass ich ihn auch Euch geben darf.«
War das möglich? Danilar nahm den Brief von dem Geistlichen entgegen. Er kannte die Handschrift auf der Vorderseite nicht, aber das verwunderte ihn nicht. »Wartet der Bote?«
»Ich habe ihn auf einen Tee in die Küche geschickt. Ich dachte, das könnte ihm an einem so kalten Morgen willkommen sein.«
»Ein guter Gedanke«, sagte Danilar. »Lauf zu ihm und sag ihm, dass ich auf dem Weg bin. Ich bin gleich da.«
Zunächst ging er nach oben zu seinem Studierzimmer und holte eine kleine Börse aus dem Schreibtisch. Nach kurzer Überlegung legte er zum Dank für die schnelle Erledigung dieses Auftrags noch ein paar Marken aus seiner Geldkassette dazu. In diesem Winter hatte der Knabe sie mehr als verdient.
Danilar traf den Boten auf einem Hocker in der Küche an, wo er einen großen Becher mit Tee an sich drückte. Als der Mann die Börse entgegennahm, verriet ein freudiges Flackern in seinen Augen, dass er den Inhalt rasch anhand des Gewicht berechnet hatte und angenehm überrascht war. Dann bat Danilar ihn, sein Frühstück in aller Ruhe zu beenden, und begab sich zu den Gemächern des Präzeptors.
Ansels Gesundheitszustand hatte sich in diesem Winter verschlechtert. Kurz nach dem ersten Schnee war seine Brust noch schlimmer geworden, und nur wenige Tage vor der Wintersonnenwende hatte Danilar ihm das Sakrament gebracht und ihn zusammengebrochen auf dem Boden seines Arbeitszimmers gefunden; er hatte kaum noch geatmet. Hengfors’ Prognose war düster, aber irgendwie hielt Ansel durch, und er war bis zum Ende so widerspenstig, als wäre er der wiedergeborene Sankt Agostin.
Der Präzeptor lag im Bett, und so ließ sich Danilar selbst herein. Hengfors’ Assistent hatte sich über ihn gebeugt. In der einen Hand hielt er eine Flasche, und mit der anderen streckte er Ansel einen Löffel entgegen.
»Ihr solltet den Sirup nehmen, Herr«, beharrte der junge Mann. »Ohne ihn wird es Euch nicht besser gehen.«
»Es wird mir sowieso nicht mehr besser gehen, da spielen Hengfors’ Tränke keine Rolle«, krächzte Ansel. »Nimm das weg.«
Danilar schloss die Tür leise hinter sich. Ansel drehte den Kopf ein wenig und nickte kaum merklich. Der Präzeptor war entsetzlich blass; nur die hektische Röte in den Wangen hob sich noch von den Kissen ab.
»Herr, ich muss wirklich darauf bestehen …«
»Verdammt, nimm das weg, oder ich werde dir befehlen, es selbst zu schlucken!« Ansel verstummte und wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. Er drückte sich ein fleckiges Taschentuch gegen den Mund.
Danilar berührte den Arzt am Arm. »Er ist ein schrecklicher Patient, nicht wahr?«, murmelte er. »Warum versuchst du es nicht später noch einmal, wenn er in besserer Stimmung ist?«
Der Arzt zögerte. »Ich darf ihn nicht allein lassen.«
Danilar packte ihn etwas fester und drängte ihn sanft beiseite. »Das ist schon in Ordnung. Ich werde ein Auge auf ihn haben. Geh jetzt«, sagte er und lächelte. »Ich werde nach dir rufen, sobald du gebraucht wirst.«
Der Arzt warf einen zweifelnden Blick auf das Bett und seinen finster dreinblickenden Patienten und verkorkte die Flasche. »Nun, ich nehme an, eine halbe Stunde wird nichts schaden«, sagte er. Dann schien er sich an seine Position zu erinnern und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, die allerdings längst nicht so beeindruckend wie die Danilars war. »Aber Ihr müsst mir versprechen, mich sofort zu rufen, falls eine Verschlechterung seines Zustands eintreten sollte.«
»Das verspreche ich«, versicherte Danilar ihm und lächelte noch immer.
Beruhigt zog sich der Arzt zurück.
»Der Göttin sei Dank«, knurrte Ansel, als die Tür geschlossen wurde. »Die Dämpfe aus dieser Flasche haben dazu geführt, dass ich alles doppelt gesehen habe.«
»Ich bezweifle, dass es so schlimm war.« Danilar zog sich einen Stuhl heran. »Wie fühlt Ihr
Weitere Kostenlose Bücher