Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
noch einer, bis es insgesamt fünf waren, die die versengte Erde wie die Finger der Göttin höchstpersönlich berührten. Warm berührten sie sein Gesicht und kühlten seine sonnenverbrannte Haut. Im Himmel über ihm entstand aus einem Streifen aus Grün und Gold und Rot das Antlitz eines Engels, umgeben von einem strahlenden Licht und ätherischen Schwingen. Der Engel lächelte, streckte ihm eine Hand entgegen und hob ihn hoch ins Licht.
»Alles ist gut, Gair.«
Er riss die Augen auf. Seine Brust hob und senkte sich. Er bemühte sich, Luft zu holen – die ihm die Lunge versengte …
»Alles ist gut, Gair«, wiederholte Tanith sanft. »Hier ist kein Feuer.«
Gair schaute sich wild um. Im Zimmer war es dunkel; nur das Licht einer Kerze auf dem Tisch hob den Umriss von Taniths Kopf hervor, da sie sich über ihn beugte. Sie hatte ihm die Hände auf die Schultern gelegt und drückte ihn in die Kissen zurück. Das zerwühlte Bettlaken klebte schweißnass an ihm, und seine Lunge war von der trockenen Schärfe des Rauchs erfüllt.
»Ich dachte, du bist ein Engel.« Sein Hals war rau.
Sie lächelte und strich ihm die Haare zurück. »Du hast geträumt.«
»Ich war in einem Labyrinth gefangen«, sagte er. »Da war eine Statue …« Der Traum zerbröselte wie ein altes Pergament; die Bruchstücke lösten sich umso schneller auf, je verzweifelter er versuchte, sie festzuhalten. Er schaute auf seine Hände und erwartete, dort etwas zu sehen, was er nicht benennen konnte.
»Saaron hätte dich warnen müssen, dass du seltsame Träume haben wirst«, sagte sie. »Mach dir keine Sorgen. Es waren nur Träume.«
»Wie spät ist es?«, fragte er.
»Spät«, sagte sie. Er bemerkte, dass ihre Arme nackt waren, und unter dem Heilermantel war ihr Nachthemd zu sehen.
»Was machst du hier mitten in der Nacht?«
»Der diensthabende Heiler hatte sich Sorgen um dich gemacht, und deshalb hat er mich geweckt«, erklärte sie. »Ich habe in einem der Ersatzzimmer hier geschlafen. Deine Träume müssen sehr schlimm gewesen sein, als du zurückgekommen bist. Deshalb war Saaron der Meinung, es sei das Beste, wenn ich in der Nähe bleibe.«
»Ich erinnere mich an nichts mehr.«
»Das ist gut so. Du hast eine schreckliche Tortur hinter dir.«
»Werde ich mich je daran erinnern? Mir gefällt die Wolke hier drinnen nicht.« Er zeigte auf seinen Kopf.
»Der Schild in deinem Geist soll verhindern, dass du dich zu schnell an zu vieles erinnerst. Versuch nicht dagegen anzukämpfen.« Sie goss ihm einen Becher Wasser ein und drückte ihn Gair in die Hand. »Trink das. Du hast viel Flüssigkeit verloren. Und dann sagst du mir, was du Saaron über Savin erzählt hast.«
Während Gair trank, versuchte er sich an seine Worte zu erinnern. Sie fielen ihm nicht ein, aber er erinnerte sich an das Gefühl der Dringlichkeit. Er hatte den Eindruck gehabt, die Zeit laufe ihm davon.
»Savin kommt her, weil er nach etwas sucht, was er in meinem Kopf nicht finden konnte. Es ist eine Art Schlüssel. Ich weiß nicht, wann er hier sein wird oder woher ich das weiß, aber als ich seinen Namen gehört habe, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass wir uns in einem Wettlauf befinden und ich herausfinden muss, was er will, bevor er es zu bekommen versucht. Ich weiß nicht, was all das bedeutet.«
»Hast du dieses Gefühl noch immer?«
Er nickte. »Ja, wenn auch nicht so stark wie zuvor.«
Tanith verschränkte die Arme vor der Brust und runzelte ihre goldene Stirn. »Ich habe den Schild verstärkt«, sagte sie leise. »Du solltest nicht in der Lage sein, dich an das zu erinnern, was Savin zu dir gesagt hat. Das verstehe ich nicht. Du bist Savin begegnet, als du von Dremen nach hier gereist bist, nicht wahr? Was hat Alderan dir über ihn erzählt?«
»Nicht viel. Nur dass er so etwas wie ein Abtrünniger ist. Alderan hat mir nie verraten, was er getan hat, aber er hat etwas Schreckliches angedeutet.«
»Schlimmer als schrecklich. Savin wurde deswegen verbannt, und der Rat hat beschlossen, dass ein Schutzzauber um die bewohnten Inseln errichtet wird, damit er niemals ohne das Wissen der Meister zurückkehren kann.« Sie biss sich auf die Lippe. »Ich muss es Alderan berichten. Versuche ein bisschen zu schlafen, wenn du kannst.«
»Ich bin nicht müde.«
Sie richtete sich auf. »Du brauchst aber Schlaf, Gair.« Ihre Stimme war leise und nicht unfreundlich. »Schlaf und etwas zu essen und in einem oder zwei Tagen, wenn du kräftig genug dafür bist, weitere
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