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Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1

Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1

Titel: Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elspeth Cooper
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gesagt haben.«
    Wer war sie? Sie kannte ihn, und zwar sehr gut – bei allen Heiligen, dieser Kuss! –, doch ihr Name war irgendwo in den Gewitterwolken seines Geistes verloren gegangen. Aber er kannte sie, dessen war er sich sicher. Er kannte ihr Gesicht, ihren Geruch, das Gefühl ihres Körpers, der sich gegen den seinen drückte. Sie sah ängstlich zu ihm auf, und die Wolken hoben sich. Eine Erinnerung drängte sich in den Vordergrund, so langsam und unaufhaltsam wie eine reifende Knospe. Still brach sie auf, und Gair sah, wie seine eigenen Krallen von einem anderen Turmfalken umfasst wurden und sie gemeinsam durch die warme, klare Luft taumelten.
    »Aysha«, sagte er und lächelte.
    Die Erinnerungen hörten nicht mit ihrem Namen auf. Wölfe rannten und rangen im monderhellten Schnee miteinander. Adler stiegen in die Lüfte auf. Liebende schwitzten in bebender, atemloser Vereinigung. Mehr und mehr Erinnerungen strömten hervor, und er selbst war Teil jeder einzelnen von ihnen. Benommen klammerte er sich an Ayshas Schulter.
    »Was ist los? Gair, was stimmt mit dir nicht?«
    Zu viele Erinnerungen, zu lebhaft: wirbelnde Splitter aus buntem Bleiglas stachen in sein Hirn. Tausend Zeitfragmente, unverbunden und ohne jede Struktur, drangen mit der Wucht eines Hagelsturms, der auf bloße Haut trifft, in ihn ein und explodierten in seinem Bewusstsein wie Regentropfen. Er schloss die Augen. O Göttin, er musste sich übergeben.
    »Du schwitzt ja. Ich hole Saaron.«
    Sie wollte aufstehen, aber er klammerte sich weiterhin an sie. Er würde stürzen, wenn er sie losließ. »Nein, bitte nicht.« Übelkeit stieg in Gairs Kehle auf, und sein Mund füllte sich mit Speichel. Wieder und wieder schluckte er, während ihn die Flut der Erinnerungen von Augenblick zu Augenblick und von Gefühl zu Gefühl spülte. Er konnte nicht atmen, nicht denken, konnte nichts anders tun, als es zu erdulden.
    Als es schließlich nachließ und er wieder die Augen zu öffnen vermochte, hatte Aysha ihn in die Arme genommen und streichelte ihm über das Haar. Sorgen umwölkten ihr Gesicht, als er sich aufrichtete.
    »Du hast mir Angst gemacht.« Plötzlich kniff sie ihn in die Schulter. »Mach das nicht noch einmal.«
    »Entschuldigung.« Gair rieb sich die Schläfen.
    »Was ist passiert? War er das?«
    »Nein. Die Erinnerungen sind so schnell zurückgekommen. Ich hatte dich erkannt, mich aber nicht an deinen Namen erinnert. Und dann kam plötzlich alles auf einmal.«
    »Was bei allen Höllen hat er dir bloß angetan?«
    Gair stieß die Luft aus und rieb sich mit der Hand über das Gesicht. »Tanith hat es eine Geistplünderung genannt. Es war wie ein Viehdiebstahl, aber im Innern meines Kopfes. Sie sagt, es wird wieder besser werden.«
    »Du solltest zulassen, dass ich einen Heiler hole.«
    »Es geht mir gut.«
    »Es geht dir nicht gut!«, brach es aus Aysha hervor. Rasch hielt sie sich die Hand vor die Augen, doch Gair war das Glitzern in ihren Wimpern nicht entgangen. »Ich hatte mit ihnen gesprochen. Sie sagten, dass du im Sterben liegst. Sie sagten, dass dein Geist in Mitleidenschaft gezogen sein würde und du dich an nichts mehr würdest erinnern können, wenn du doch überleben solltest. Wie konntest du es nur zulassen, dass er dich so schlimm erwischt?« Sie unterstrich ihre Worte mit Faustschlägen gegen seine Schultern. Ihr Gesicht verzog sich, und sie brach in Schluchzen aus. »Wie konntest du es zulassen, dass er dich so schwer verwundet?«
    »Es tut mir leid, Aysha.« Gair packte sie und zog sie an sich. Er drückte ihr Küsse auf das seidige Haar und rieb ihr den Rücken. »Es tut mir so unendlich leid. Ich hatte keine Ahnung, dass er da draußen war und mich in meiner neuen Gestalt erkennen würde. Ich hatte keine Ahnung, dass er so stark ist.«
    Sie presste das Gesicht gegen sein neues Hemd und holte zitternd Luft. »Als ich deine Farben nicht mehr finden konnte und du meinen Ruf nicht beantwortet hast, habe ich das Schlimmste befürchtet.« Ihre Stimme klang dumpf vor ungeweinten Tränen.
    »Ich bin noch da.«
    »Aber nur, weil du Glück hattest. Ich sollte dich für die Sorgen, die du mir gemacht hast, töten.«
    »Ich wollte das alles nicht, Aysha.«
    »Ich weiß. Ich hatte bloß befürchtet, dich verloren zu haben.« Rasch wischte sie sich durch das Gesicht, blies die Backen auf und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Dann schenkte sie ihm ihr altbekanntes Lächeln.
    »Dieses Hemd steht dir gut, sogar besser, als ich erwartet

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