Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
miteinander verbunden, genau wie die farbenfrohen Taschentücher eines Zauberers.
Er holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. Wenigstens war dieser Gang leer. Alles in seinem Kopf fühlte sich zerbrechlich an, war so schillernd wie ein Bluterguss und doppelt so empfindlich. Sobald er in den unteren Stockwerken, wo es auf den Korridoren geschäftiger zuging, einen Gruß erwidert hatte, waren ihm bruchstückhafte Erinnerungen gekommen. Die Göttin allein wusste, wie es sein würde, wenn er Alderan auf der anderen Seite dieser Eichentür entgegentrat. Aber er musste es tun. Er musste endlich die Wahrheit erfahren.
Gairs Klopfen wurde von einer beiläufigen Aufforderung aus dem Inneren des Zimmers beantwortet. Als die Tür geschlossen blieb, drückte er die Klinke herunter und trat ein. Er hatte sich gegen die Erinnerungen gewappnet, die sich nun in ihn ergießen würden …
… aber sie taten es nicht. Seine erste Begegnung mit Alderan musste so weit in der Vergangenheit liegen, dass sie sich bereits diesseits von Taniths Schild befand. Dankbar und erleichtert schloss er die Tür hinter sich.
Alderan saß an einem schweren Tisch mit Löwenfüßen hinter Stapeln von Büchern. Die Finger seiner linken Hand hielten einen Band an bestimmten Stellen auf, während die Rechte den Text eines anderen Werkes nachfuhr, das offen vor ihm lag. Zwischen seinen Zähnen klemmte ein Stift.
»Stell es bitte da drüben ab«, sagte er und deutete mit dem Stift auf einen Beistelltisch, der ebenfalls mit Büchern überladen war.
»Was soll ich abstellen?«, fragte Gair.
Alderan schaute auf und blinzelte überrascht. »Ich hatte gehofft, es sei mein Mittagessen, aber du bist mir ein genauso willkommener Anblick.« Er schloss die Bücher, nachdem er Zettel als Lesezeichen hineingelegt hatte, damit er die Stellen, die er brauchte, rasch wiederfinden konnte, und stand auf. »Ich wäre gern hinunter auf die Krankenstation gekommen und hätte dir den Weg erspart. Möchtest du etwas Tee haben?«
»Nein, danke.«
Aus einem Schrank über dem Kamin nahm Alderan zwei nicht zusammenpassende Becher und eine Teekanne mit Blumenmuster heraus, die schon bessere Tage gesehen hatte. Das Wasser kochte bereits in einem Kessel an einem Haken über den Flammen.
»Du siehst besser aus«, sagte er und löffelte Teeblätter aus einem Holzbehälter in die Kanne. »Bist du sicher, dass du keinen Tee haben willst?«
»Was ich haben will, sind Antworten«, sagte Gair zu ihm. »Ich will wissen, warum Savin versucht hat, mich zu töten, und ich will, dass Ihr mir diesmal die Wahrheit sagt.«
Der alte Mann sträubte sich. »Ich habe dir immer die Wahrheit gesagt.«
»Aber nicht die ganze Wahrheit. Jedes Mal, wenn ich Euch etwas frage, gebt Ihr mir nur so viele Informationen, dass ich weitermachen kann, aber den Kern der Frage umgeht Ihr. Jetzt will ich die ganze ungeschminkte Wahrheit hören.«
Alderan legte den hölzernen Löffel zurück in den Behälter und stellte diesen weg. Er schloss die Schranktür und deutete auf die Ledersessel, die den Kamin flankierten. »Setz dich, Junge.«
»Ich bleibe lieber stehen. Alderan, Ihr und ich, wir müssen uns unterhalten.«
»Das werden wir, aber setz dich bitte erst einmal. Ich will schließlich nicht die ganze Zeit zu dir hochblicken. Meine Gelenke sind schon steif genug, da brauche ich nicht auch noch einen Krampf im Nacken.«
Gair biss die Zähne zusammen, um seine Fragen zurückzuhalten, und nahm Platz. Alderan füllte die Kanne, ging zurück zum Schreibtisch und schrieb ein paar Worte auf einen Papierfetzen, der in einem der Bücher steckte.
Gair hielt es für ein Wunder, dass sich der alte Mann inmitten dieses Durcheinanders überhaupt konzentrieren konnte. Die Regale an den Wänden waren mit Kästchen und Büchern sowie mit sonderbaren Gegenständen aus Messing und Glas gefüllt. Auf der Sitzbank vorm Fenster türmten sich Schriftrollen wie zusammengebundene Holzscheite, und überall auf dem verblichenen Teppich lagen irgendwelche Papiere. An den wenigen Stellen, die noch frei waren, lag der Staub so hoch, dass man darin hätte schreiben können.
Als der Tee zu Alderans Zufriedenheit gezogen hatte, goss er zwei Becher voll und gab jedem einen großen Löffel Honig zu. Dann reichte er den einen Becher Gair hinüber; offenbar hatte er vergessen, dass sein Gast keinen Tee haben wollte.
Gair stellte den Becher neben sich auf den Fliesen ab.
»Du hast dich gut erholt, seit ich dich zuletzt gesehen
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