Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
hatte noch nie auf etwas Größeres als eine Waldschnepfe geschossen, und er wollte nicht ausgerechnet jetzt zum ersten Mal auf einen Menschen anlegen. Also zielte er auf das Wasser zwischen den Beinen eines Angreifers weiter hinten und schoss den Pfeil ab; er wollte den Kerl bloß erschrecken. Doch entweder hatte sich sein Ziel zu schnell bewegt, oder der Pfeilschaft war gebogen, denn die Spitze bohrte sich in den Schenkel des Mannes, und er klatschte ächzend und mit den Armen schlagend ins Wasser. Sein Gefährte drehte sich um und sah nach ihm, und Gairs nächster Pfeil schwirrte an seiner Wange entlang. Mit einem Aufschrei hielt sich der Mann die Hand ans Gesicht. Als sich Gair nach einem weiteren Pfeil bückte, traf ein feindliches Geschoss die Kante des Steuerhauses unmittelbar vor ihm, und Splitter stoben durch die Luft. Nun war er selbst zum Ziel geworden.
Zwei weitere Männer wateten mit glitzernden Messern in den Fluss hinein, während der am schwersten Verwundete ans Ufer humpelte. Die anderen kämpften sich zielstrebig auf den Hauptmast mittschiffs vor.
Gair erhaschte einen Blick auf ein blasses, fuchsartiges Gesicht, das sich zwischen den Bäumen verbarg. »Der Hexenjäger!«
»Bist du sicher?«
Gair zielte rasch und schoss einen weiteren Pfeil dorthin, wo er den Sucher entdeckt hatte. Das Gesicht verschwand, aber er hatte keine Ahnung, ob er ihn getroffen hatte. »Ich bin sicher!«
Alderan fluchte. »Mach die Leinen los!«, rief er Skeff zu. »Sie dürfen nicht an Bord kommen!«
Skeff hatte inzwischen eine Axt gefunden, und als er auf den Anker am Heck zutaumelte, schlugen sofort Pfeile zu seinen Füßen ein.
Gair hastete hinter das Steuerhaus und zielte auf die Bogenschützen an Land. Er konnte zwischen den Bäumen kaum etwas erkennen, aber er schoss einfach drauflos, und der zweite Pfeil löste einen Schmerzensschrei aus, der ihm verriet, dass er getroffen hatte. Vielleicht hatte er den Mann sogar getötet. Ein Pfeil von einem leahnischen Langbogen konnte auf eine Entfernung von zweihundert Schritten eine Rüstung durchbohren, aber auch ein Pfeil von einem Kurzbogen wie diesem war auf eine Distanz von nur fünfundzwanzig Schritten tödlich. Gair legte einen weiteren Pfeil ein und schoss erneut. Ihm blieb keine Zeit zum Nachdenken.
Der Schiffer hatte die Heckreling erreicht und hackte das Ankerseil durch. Die Schützen am Ufer hoben wieder die Arme, zielten diesmal auf Alderan, aber die gefiederten Pfeile verfehlten ihn und bohrten sich stattdessen in die gegenüberliegende Reling. Gair schoss in rascher Folge drei Pfeile auf den Ursprung dieses Angriffs. Die Schüsse wurden nicht erwidert.
Die drei Männer im Wasser hatten inzwischen die Wanten erreicht. Im Nahkampf war der Bogen so gut wie wertlos, also warf Gair ihn beiseite und rannte zu seinem Schwert. Er hatte es gezogen, als der erste Arm über der Reling erschien. Heftig schlug er darauf ein.
Knochen brachen.
Kreischend stürzte der Mann ins Wasser, aber nun kletterten bereits die beiden anderen an der Reling hoch. Alderan kam Gair zu Hilfe, und ein paar harte Schläge mit dem Belegnagel aus massiver Eiche, den er schwang, überzeugten die verbliebenen Angreifer bald davon, dass die Händlerrose Dornen besaß.
Achtern hatte Skeff endlich das Ankerseil durchtrennt. Als der Kahn mitten in die Strömung trieb, rannte Alderan zu den Seilen, um das Hauptsegel zu setzen. Hinter ihm schlängelte sich Skeff unter dem Baum hindurch und drehte ihn so, dass der Wind voll ins Segel fuhr. Nun war der kleine Kahn in voller Fahrt. Ein paar Flüche und ein verirrter Pfeil folgten ihm, und als das Licht endlich erlosch, war von den verbliebenen Angreifern nichts mehr zu sehen.
»Das war knapp.« Alderan holte tief Luft und wischte sich das Haar aus dem Gesicht.
»Glaubt Ihr, es war dieselbe Bande, die vor Kurzem den Mann ausgeschickt hat, der uns beobachtet hat?«, fragte Gair.
»Möglicherweise. Sie haben den Fluss beobachtet und nach Beute gesucht.« Alderan warf den Belegnagel in die Luft, fing ihn auf und steckte ihn zurück in die Halterung. »Und dann ist da noch der Sucher. Bist du vollkommen sicher, dass er es war?«
»Ja. Ich habe ihn gespürt, bevor die Männer versucht haben, an Bord zu kommen. Jetzt ist er weg.«
»Oder tot – obwohl das wohl zu schön wäre, um wahr zu sein.« Der alte Mann stieß einen Seufzer aus und kratzte sich am Bart. Er bemerkte etwas im Speigatt und hob es auf. Es war eine abgenutzte
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