Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
stellte, war sie dem Untergang geweiht.
Gair nahm noch mehr Magie in sich auf, bevor Alderan ihn darum bitten konnte. Der Strom in seinem Inneren war atemberaubend und viel größer als je zuvor, doch das Gewebe des alten Mannes saugte alles einfach auf, formte es um und lenkte es gegen den Sturm. Nach und nach wurde der Wind schwächer. Alderans Wille führte ihn in östliche Richtung, so dass die geschundene Kielkätzchen nach Nordwesten segeln konnte, anstatt unbarmherzig nach Süden auf die Riffen bei den Maling-Inseln zugetrieben zu werden.
Gair hatte der Seekarte an der Wand von Dails Kajüte keine große Aufmerksamkeit geschenkt und wusste daher nicht, wie er sich diese Riffe vorstellen sollte, doch als er den Kopf drehte und durch die Gischt auf das tosende Meer jenseits der Steuerbordreling schaute, erkannte er deutlich den brodelnden weißen Schaum.
Er fluchte und schrie: »Die Felsen! Wir sind zu nahe!«
Alderan schaute sich nicht einmal um, sondern verdoppelte sofort seine Anstrengungen. Das Weben verzehrte immer mehr von Gairs Kraft, und es bedurfte immer größerer Bemühungen, den Wind zu drehen, so dass auch der kleinste Vorteil immer härter erkämpft werden musste. Das einzige verbliebene Mastsegel wurde gebläht, und die überbeanspruchten Wanten ächzten mit jeder Welle, die gegen sie prallte, doch nun drehte sich die Kielkätzchen abermals und nahm wieder Fahrt auf.
»West-Nordwest!«, brüllte Dail, dessen Gesicht im Licht der Lampe am Mast unheimlich aussah. »Lasst ihr ihren Willen!«
Der Bootsmann nickte und rief seinen Männern am Großmars zu: »In die Takelage! Hisst die Segel. Macht sie schneller!«
Die völlig durchnässten Matrosen kletterten den Mast hoch und taumelten hinaus auf die Fußseile. Ein Segel nach dem anderen wurde gesetzt, und das volle Gewicht der nassen Leinwände flatterte im Wind. Unten auf dem Deck rutschten die Seeleute fluchend umher und luvten an, bis ihnen die Hände bluteten. Sie drehten die Segel, bis diese so viel Wind wie möglich einfingen. Das Schiff drehte sich zuerst langsam, doch dann immer schneller.
»Sie packt es!« Auf dem Gesicht des Bootsmannes erschien ein gewaltiges, ungläubiges Grinsen. »Wir haben es geschafft!«
»Wir sind noch nicht über den Berg, Mann!« Der Kapitän zog sich mit den Händen an der Reling auf Alderan zu. »Kannst du uns von den Inseln wegbringen?«
Das Gesicht des alten Mannes wirkte angespannt, und er hatte die Zähne zusammengebissen. »Der Junge hat noch Kraft. Es wird gehen.«
Gair hörte Alderans Stimme in seinem Kopf. Noch einmal, damit wir uns von den Felsen entfernen, und dann ist es vollbracht . Sein Tonfall war sanft, aber in seiner Stimme hallte all die Macht des Sangs wider, über den er gebot. Das hast du gut gemacht .
Gair spürte, wie die Magie in ihm aufbrandete, und er ließ sie los. Nun war er nur noch ein Leitungsrohr, ein Kanal, durch den die Kraft floss. Er konnte diese gewaltige Energie zwar lenken, hatte aber ansonsten keine Macht über sie. Er hatte die Augen fest geschlossen, hielt den Kopf gesenkt, und Übelkeit breitete sich in seiner Magengegend aus, aber er klammerte sich an den Hauptmast und kämpfte sie nieder.
Es war für ihn schwierig geworden, ein Zeitgefühl zu behalten. Gair hatte keine Ahnung, wie lange er sich schon an Deck befand. Er fühlte nur das Schiff; jedes Beben und Ächzen der Kielkätzchen teilte sich ihm durch das dicke Holz unter seinen Händen und Füßen mit. Die Steuermänner hatten den Bug herumgerissen, und nun nahm sie wieder Fahrt auf. Gair spürte das Rauschen des Wassers unter ihrem Kiel, da sie sich von den Inseln entfernte und auf das sicherere offene Meer zuhielt.
Als die Bewegungen des Schiffes stetiger und sanfter wurden, löste sich Alderans Griff um seinen Geist allmählich. Der Sang erstarb. Er hinterließ eine hallende Leere, ein Summen in Gairs Ohren.
Langsam hob er den Kopf. Allmählich rissen die Sturmwolken auf, und vorsichtig tastete sich das Morgenlicht hindurch. Das Meer wogte noch immer heftig und war von einem bösartigen Grau, aber die Wellen kamen langsamer heran, und der Wind war nun kaum mehr als eine steife Brise. Überall um ihn herum sah er müde, triefnasse Gesichter mit Blutergüssen, und einige Männer hielten sich die gebrochenen Glieder, doch irgendwie gelang es ihnen allen zu lächeln. Der Bootsmann grinste wie ein Affe, und Kapitän Dail packte Gairs Hand und schüttelte sie so heftig, als wollte er sie ihm
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