Die Loewin von Mogador
sie
Zelte auf. Dutzende kleiner Lagerfeuer flackerten in der Dunkelheit. Nadira
kochte Tee und Couscous, einen dicken nahrhaften Brei aus zerriebenem Weizen,
Gerste und Hirse, unter den sie Olivenöl und Butter mischte. Sibylla saß neben
ihrem Mann auf einem flachen Stein am Feuer und fand es sehr aufregend, auf
eine Art zu reisen, die in Europa schon lange der Vergangenheit angehörte.
„Das ist unser zweites gemeinsames Picknick“,
flüsterte sie Benjamin zu, während sie den Brei nach einheimischer Sitte mit
einem Stück frisch gebackenem Fladenbrot löffelte.
„Stimmt“, erwiderte er und betrachtete mit
trübsinniger Miene seine Blechschüssel mit Couscous. „Aber damals hatten wir
besseres Essen.“
In der zweiten Nacht wurden sie von lauten
Rufen und Gewehrschüssen aufgeschreckt. Pferde wieherten, Kamele brüllten, und
Esel schrien.
„Hyänen schleichen um das Lager“, informierte
Konsul Willshire Benjamin und Sibylla, als sie verschlafen und verstört aus
ihrem Zelt stolperten. „Aber kein Grund zur Sorge. Die Reiter des Sultans haben
ein paar erschossen und den Rest verjagt.“
Am nächsten Morgen besichtigten sie die
Kadaver der großen braun gescheckten Raubtiere, die die Kavallerie am Rand des
Lagers ausgestellt hatte, und Sibylla erschauderte beim Anblick der mächtigen
Reißzähne.
Am dritten Tag merkte sie bereits, dass die
Hitze ihr zu schaffen machte. Sie fühlte sich erschöpft und staubig, als sie
gegen Abend durch das bogenförmige Tor der einzigen Karawanserei auf der
Strecke ritten. Die Herberge für Reisende und Handelskarawanen bestand aus
einem schmucklosen Gebäude aus braunem Stampflehm, dessen vier Seiten einen
Innenhof umschlossen, der genug Platz für zwei Karawanen ihrer Größe bot. Die
Herberge verfügte über zwei Etagen. Unten befanden sich Lagerräume und Ställe
für die Tiere. Darüber schliefen die Reisenden in einfachen Zimmern ohne
Fenster. Die Türen führten auf den Umgang, der rund um den Hof verlief.
Außerdem gab es noch einen kleinen Betraum. Nachts konnte der Durchlass mit
einem stabilen eisenbeschlagenen Holztor verschlossen werden, und die Herberge
wurde zu einer Festung, die auch Räubern und feindlichen Berberüberfällen
standhielt.
Nadira war dabei, an ihrem Kochplatz das
Feuer zu entfachen, als eine Gruppe Frauen in den Hof kam. Sibylla wurde sofort
auf sie aufmerksam, denn sie waren nicht verschleiert. Sie gingen mit Körben
zwischen den Reisenden umher und boten frisch gebackene Brotfladen, Eier,
Ziegenkäse und getrocknetes Fleisch zum Kauf an. Sibylla betrachtete fasziniert
ihre stolzen offenen Gesichter. Auf der Stirn und am Kinn war die
sonnengegerbte Haut tätowiert. Sie gingen barfuß, ihre weiten Röcke waren mit
vielfarbigen Borten und Troddeln verziert. Dazu trugen sie Blusen und bunte
Kopftücher auf dem dunklen Haar.
„Diese Frauen sind Eingeborene vom Stamm der
Chiadma“, erklärte Konsul Willshire Sibylla. „Sie gehören zum Berbervolk, das
hier schon Jahrhunderte vor den Arabern lebte.“
„Chiadma“, wiederholte Sibylla nachdenklich.
„Diesen Namen habe ich schon einmal von Ihnen gehört. Es ging um Fehden mit
einem anderen Stamm, den Haha wenn ich nicht irre.“
„Das stimmt“, bestätigte Willshire. „Alle
Berber sind hitzköpfige Zeitgenossen. Sie erkennen keine Obrigkeit an, und man
kann sich nie ganz darauf verlassen, dass ihre Absichten friedfertig sind.“
„Die Frauen sind ganz allein hier, ohne
Männer. Sie scheinen mehr Freiheiten zu genießen als arabische Frauen.“ Sibylla
warf einen neugierigen Blick auf die Berberinnen. Ihre weiten Röcke schwangen
um ihre Hüften, während sie sich zwischen den Reisenden bewegten. Viele Männer,
besonders die europäischen, die nicht mehr an so viel unverschleierte
Weiblichkeit gewöhnt waren, folgten ihnen mit begehrlichen Blicken.
Zu Sibyllas Verwunderung röteten sich die
Wangen des Konsuls. Er räusperte sich. „Das kann man so sagen, verehrte Mrs.
Hopkins. Das kann man wirklich so sagen.“ Er räusperte sich noch einmal. „Wenn
Sie mich jetzt entschuldigen, verehrte Mrs. Hopkins, ich werde schauen, ob
unser Boy die Maultiere auch gut versorgt hat. Man kann sich nämlich nur auf
sich selbst wirklich verlassen, nicht wahr?“ Er eilte davon.
„Sollen wir bei den Frauen etwas Fleisch für
das Abendessen kaufen?“, fragte Sibylla ihren Mann. Dieser zuckte mit den
Schultern. „Wenn du unbedingt willst. Aber wundere dich nicht, wenn sie dir
gekochte Katze als
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