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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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Hinter den
schnurgeraden Reihen der Schwarzen Garde hatten die Reiter Aufstellung genommen,
während die Kaufleute mit erwartungsvollen Gesichtern am Ende des Platzes
warteten.
    „Komm mit!“, flüsterte Benjamin, der
plötzlich neben Sibylla auftauchte. „Diesen historischen Moment dürfen wir
nicht verpassen.“ Er nahm ihre Hand und zog sie zwischen den Wartenden hindurch
in die vorderste Reihe.
    Als die mächtigen Torflügel aufschwangen,
hielt Sibylla den Atem an. Sie war noch nie einem Herrscher von Angesicht zu
Angesicht begegnet. Den englischen König Wilhelm IV. hatte sie einmal in der
Oper in seiner Loge gesehen. Aber das ließ sich nicht mit dem feierlichen
Rahmen vergleichen, in dem diese Audienz stattfand.
    Ein einzelner Reiter auf einem prächtig
geschmückten Schimmelhengst ritt gemessenen Schrittes durch das Tor. Neben dem
Kopf des Tieres ging ein Leibgardist, dicht dahinter folgte ein Eunuch, der
einen großen karmesinroten Schirm über den Souverän hielt, so dass ihn kein
einziger Sonnenstrahl traf.
    „Das ist er“, flüsterte Benjamin Sibylla zu.
Er hatte seinen Hut abgenommen, wie alle Männer der Kaufmannschaft, und klang
feierlich. „Toledano hat mir gesagt, dass der Schirm sein Erkennungszeichen
ist.“
    Sibylla musterte den Mann aufmerksam. Er war
in mittleren Jahren, schien nicht besonders groß, hatte weiche, gut genährte
Wangen und ein sanftes, von einem dunklen Bart umgebenes Gesicht.
    Sogar sein Pferd ist prächtiger geschmückt
als er, dachte sie ein wenig enttäuscht und betrachtete den einfachen weißen
Kaftan des Herrschers. Er trug weder Orden noch Ringe, weder Schwert, Ketten
noch sonstige Herrschaftsinsignien. Wäre nicht der rote Schirm gewesen, hätte
es sich um einen beliebigen Untertan handeln können. Doch dann fielen ihr die
aufgespießten Köpfe der Enthaupteten vor dem Stadttor wieder ein, und sie
dachte, dass es gewiss ein Fehler wäre, diesen Mann zu unterschätzen.
    „Das ist Seine kaiserliche Majestät Moulay
Abd Er Rahman bin Moulay Hicham bin Sidi Mohammed bin Moulay Abdallah bin
Moulay Ismail, Imam aller Gläubigen, Kalif der islamischen Gemeinschaft und
Sultan von Marokko aus dem heiligen Haus der Alawiden, die von der Tochter des
Propheten selbst abstammen,“ zählte Konsul Willshire Namen und Titel des
Herrschers leise auf. Er hatte sich mit seiner Frau zu Benjamin und Sibylla
vorgekämpft.
    Der Sultan ritt langsam weiter, während die
Menge in andächtiger Stille wartete. Dabei neigte er sich hoheitsvoll rechts
und links zu seinen Soldaten und sagte mit tiefer angenehmer Stimme: „ Asalamu alaikum. Allah sei mit euch.“
    „Allah segne das Leben unseres Herrn!“,
brüllte die Leibgarde wie ein Mann. Dann sanken sie in eine tiefe Verbeugung
und berührten zum Zeichen ihrer Ergebenheit das rechte Knie.
    Der Sultan zügelte seinen Hengst vor der
Kaufmannschaft, und erst jetzt erspähte Sibylla den Mann, der einige Meter
hinter ihm ritt. Auf den ersten Blick hielt sie ihn für einen Araber, nicht nur
wegen des schwarzen Haares unter dem Turban, sondern auch weil er den
traditionellen Kaftan und lange Hosen trug. Doch sein braungebranntes hageres
Gesicht war glatt rasiert, die Nase nicht so vorspringend, die Augen nicht so
dunkel. Insgesamt wirkten seine Züge weniger raubvogelhaft als bei arabischen
Männern. Auch schien er hochgewachsen wie ein Europäer. Zumindest waren seine
Beine ein wenig zu lang für seine zierliche arabische Stute.
    „Wer ist dieser Mann hinter dem Sultan auf
dem braunen Pferd?“, wisperte sie Sara zu. Die Konsulsgattin wusste sofort, wen
sie meinte, obwohl viele Hofbeamte und Würdenträger dem Sultan gefolgt waren.
„Das ist Monsieur Rouston. Er ist also wieder einmal bei Hofe“, fügte sie an
ihren Mann gewandt hinzu.
    „Wie meinen Sie das?“, fragte Sibylla
neugierig. „Ist er ein ausländischer Diplomat?“
    „Eher ein französischer Sonderling“, rutschte
es Willshire heraus, der wie die meisten Engländer eine tiefe Abneigung gegen
die Franzosen hegte. „Rouston war früher Offizier bei den Chasseurs d’Afrique
und diente in Algerien. Seit einigen Jahren allerdings zieht er es vor, bei den
Chiadma in einer Lehmhütte zu hausen. Weil er sie dazu gebracht hat, ihre über
Generationen gehende Fehde mit dem Herrscherhaus beizulegen, steht er beim
Sultan in hohem Ansehen. Vor allem wenn es um die Reform seiner Armee geht, um
die es ganz im Vertrauen gesagt erbärmlich bestellt ist, sucht Abd Er Rahman
Roustons

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