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Die Ludwig-Verschwörung

Die Ludwig-Verschwörung

Titel: Die Ludwig-Verschwörung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Einsiedelei!« Es war eine billige Ausrede, die der Mann jedoch ganz offensichtlich schluckte. Trotzdem traf sie ein zweiter Schlag in der Magengrube. Er war so fest, dass sie sich beinahe übergeben musste.
    »Warum seid ihr hier nach Linderhof gekommen?«, knurrte er. »Was steht in dem Buch, dass ihr hier rumschnüffelt, hä? Was ist hier versteckt?«
    »Ich … ich schwöre, wir wissen es nicht. Es gab einen Hinweis, aber … aber wir haben seit gestern gesucht und nichts gefunden. Wenn etwas versteckt wurde, muss es woanders sein.«
    »Wenn du mich anlügst, brech ich dir jeden Knochen einzeln. Verstehst du? Jeden Knochen!«
    Sara nickte und spürte, wie ihr Tränen und Blut über die Wangen liefen. Ihr fiel ein, dass sich in ihrem Koffer im Hotel die Pistole des toten Bernd Reiser befand. Sie hatte dummerweise darauf verzichtet, sie auf das Fest mitzunehmen. Ein Fehler, den sie jetzt aus tiefstem Herzen bereute.
    »Und jetzt gehen wir hübsch schlafen«, brummte der Bär, wobei seine Stimme wieder ganz sanft klang. »Augen zu und tief einatmen. Hier kommt der Sandmann.«
    Vor Sara tauchte ein weißes Taschentuch auf, das leicht süßlich roch. Sie spürte, wie ihr die Sinne schwanden, die Welt um sie herum war mit einem Mal eine weiche Gummiwand.
    Chloroform! Das ist Chloroform!
    Sara bäumte sich auf. Im letzten Moment gelang es ihr, den Kopf zur Seite zu drehen. Sie krallte ihre Hände in den Kies und versuchte wegzurobben, doch die Hände des Riesen packten sie wie ein Schraubstock und zogen sie unerbittlich wieder zurück. Ihre Finger schabten wie die Zinken eines Rechens über den Kies, Saras grün lackierte Nägel brachen einer nach dem anderen ab.
    Plötzlich spürte sie zwischen ihren Fingerkuppen einen harten, glatten Gegenstand. Sie brauchte einige kostbare Sekunden, um zu begreifen, dass es einer ihrer hochhackigen Schuhe war, den sie kurz zuvor verloren hatte.
    Du verfluchter Drecksack!
    Ohne weiter nachzudenken, griff sie nach dem Schuh und schlug damit blindlings hinter sich. Sie spürte, wie der spitze, gerade mal centgroße Absatz auf Widerstand stieß und schließlich durch etwas Weiches drang.
    Ein glitschendes Geräusch ertönte, und dann ein dumpfer Schrei.
    Die Hände ließen sie los, und Sara krabbelte wie ein lahmer Käfer unter dem Riesen hervor. Als sie sich hektisch umblickte, sah sie, wie der Mann sich schmerzverkrümmt das Gesicht hielt. Zwischen seinen Fingern floss Blut hervor, er stöhnte. Schließlich drehte er sich um und blickte sie an.
    Sara schrie leise auf.
    Zum ersten Mal konnte sie nun sein Gesicht erkennen. Es war, als wäre ein Alptraum aus ihrer Kindheit in den Park gekommen, um sie in sein Reich zu holen. Vor ihr im dunklen Laubengang schwebte die Fratze eines bösen mittelalterlichen Ritters. Der Fremde trug einen fein ausgeschnittenen Kinnbart, einen Schmiss auf der rechten Wange und lange schwarze Haare, die zu einem Zopf gebunden waren. Das linke Auge funkelte Sara hassverzerrt an.
    Das rechte Auge war ein schwarzes Loch.
    Mein Gott, ich habe ihm mit meinem Absatz ein Auge ausgestochen!
    »Du gottverfluchtes Miststück! Dafür stoß ich dich in die Hölle!«
    Der Riese richtete sich brüllend auf. Mit seinem einzelnen Auge sah er aus wie ein zorniger Zyklop. Ohne weiter nachzudenken tauchte Sara in die Wand des Laubengangs ein. Zweige und Blätter streiften ihr Gesicht, kurz schienen sie sie wie lange klebrige Arme festhalten zu wollen, dann war sie endlich auf der anderen Seite.
    Sara taumelte in die schützende Dunkelheit des Parks, während hinter ihr immer noch das Brüllen des Zyklopen zu hören war. Fast glaubte sie, die Blicke der weiß schimmernden Statuen in ihrem Rücken zu spüren, all dieser marmornen Nymphen, Dryaden und Götter, die wie Schutzgeister über Linderhof wachten.
    Sie schienen ihre Flucht amüsiert zu verfolgen.
    MARIA 10.   9.   1885.
    Steven Lukas rieb sich die Augen und starrte dann noch mal auf die in den Stamm geritzten Buchstaben. Die Rinde war weitergewachsen und hatte versucht, die vor mehr als einem Jahrhundert entstandene Wunde auszutilgen. Doch das Wort war immer noch gut zu erkennen.
    MARIA … War das möglich?
    Plötzlich ergab alles einen Sinn. Die rührselige Liebesgeschichte in Marots Tagebuch, der Name in der Linde, die großen Buchstaben. Das hier musste das Schlüsselwort sein! Und er hätte es beinahe übersehen! Nicht VENUS, nicht AMOR oder EROS, sondern einfach MARIA stand für das Wort LIEBE in Marots Text. Im

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