Die Maori-Prinzessin
sorgfältig in kunstvolle Locken frisierten, etwas heller getönten Haar. Sie selbst fand sowohl dieses helle Blond als auch diese Wellen etwas zu aufdringlich, aber ihre blutjunge Sekretärin hatte sie dazu animiert und schwärmte stets, dass sie wie Greta Garbo aussah. Eva fand zwar, dass sie keinerlei Ähnlichkeit mit der Schauspielerin besaß, die sie kürzlich als Madame Grusinskaya in »Menschen im Hotel« im Kino gesehen hatte. Dass sie aber eine völlig andere Ausstrahlung besaß als bei ihrem Eintreffen in Neuseeland, wollte sie nicht leugnen. Davon, eine Dame zu sein, war sie bei ihrer Ankunft am anderen Ende der Welt weit entfernt gewesen. Sie kam sich immer, wenn sie das vornehme Büro in der Tennyson Street betrat, ein wenig verkleidet vor, wobei sie nicht leugnen konnte, dass sie zumindest eine Erscheinung war, nach der sich die Männer auf der Straße umdrehten.
Sie schlüpfte in die Schuhe und griff nach der Handtasche. Dabei fiel ihr Blick auch auf den letzten Brief ihres Bruders, und ihr Gesicht verdüsterte sich. Auch wenn sie nicht vorhatte, je nach Deutschland zurückzugehen, beunruhigten sie die politischen Nachrichten aus ihrer alten Heimat zutiefst.
Dort hatte ein gewisser Hitler die Macht übernommen. Er hasste die Juden, hatte Hans ihr geschrieben. Und auch wenn Eva katholisch erzogen und ihre Mutter diesen Glauben angenommen hatte, war es doch ein offenes Geheimnis in der Familie gewesen, dass sie von Geburt an eine Jüdin war. Hans schrieb, solange »der Anstreicher« das Sagen in Deutschland hätte, sollte man auf keinen Fall zurückkehren, was er ohnehin nicht vorhabe. Diese judenfeindliche Stimmung im Land hatte sich offenbar der Nachbar, den Hans gebeten hatte, das Grundstück zu veräußern, zu Nutze gemacht. Er hatte das Weingut zwar verkauft, das Geld aber behalten. Und Hans hatte es abgeschrieben. Dafür hatte er versprochen, noch binnen dieses Jahres nach Neuseeland überzusiedeln. Bislang hatte es mit dem großen Geschäft in Kalifornien noch nicht geklappt, aber er schwärmte schon wieder in den höchsten Tönen von einer neuen, einer todsicheren Methode, an Geld zu kommen, um in Neuseeland auch gleich investieren zu können.
Eva liebte ihren Bruder aufrichtig, seine ständigen großspurigen Versprechen gingen ihr allerdings auf die Nerven. Wenn es nach ihr ging, sollte er auch ohne Vermögen kommen und sein Glück versuchen. Sie vermisste ihn! Was er wohl dazu sagen würde, seine kleine Schwester als gefeierte Innenarchitektin wiederzusehen? Sie hatte sich in ihren Briefen bedeckt gehalten, was ihren unerwarteten beruflichen Erfolg betraf. Wenn er nur endlich käme und sie ihm alles zeigen konnte! Sie wischte sich über die Augen, die bei dem Gedanken an ihn ein wenig feucht geworden waren, und verließ entschlossen das Zimmer.
In der Diele traf sie auf Lucie und Hariata. Sie waren nicht allein, wie Eva erstaunt feststellte. Obwohl sie ihn im Abendanzug kaum erkannt hatte, war der junge Arzt bei ihnen, dem Hariata und sie damals am Tag des Erdbebens in dem ganzen Elend zur Hand gegangen waren. Es war keine Frage, warum er sie begleitete, denn ihre Maorifreundin strahlte vor Glück. Sie sah umwerfend aus in ihrem schlichten Abendkleid.
»Das ist Frank«, stellte sie Eva den jungen Arzt mit hochroten Wangen vor.
»Wir kennen uns ja schon«, ergänzte Doktor Webber.
Beneidenswert, so ein junges Glück, ging es Eva durch den Kopf, während ihr Blick zu Großmutter Lucie wanderte. Die alte Dame hatte sich ebenfalls ihr bestes Kleid angezogen. Ihre Augen leuchteten vor Stolz über ihre Enkelin, denn als solche pflegte sie Eva nach Adrians Verschwinden vorzustellen.
»Wollen wir mit meinem Wagen fahren?«, fragte Eva.
Lucie verdrehte die Augen. »Lieber würde ich eine Kutsche nehmen, aber wir besitzen ja keine mehr. Dann müssen wir wohl in das Gefährt einsteigen. Du willst doch nicht etwa selber fahren?«
»Natürlich, Lucie, wer denn sonst?«, lachte Eva. »Doktor Webber vielleicht?«
Der junge Arzt lächelte. Lucie murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und folgte ihr zum Wagen. Sie weigerte sich strikt, vorne zu sitzen. Der Wagen war zwar schon alt, aber er besaß immerhin den Luxus einer Rückbank.
Eva liebte es, damit über die Küstenstraße zu fahren. Je mehr sie sich Napier näherten, umso aufgeregter wurde sie. Es kam ja nicht alle Tage vor, dass man geehrt werden sollte. Doch die Chefs des örtlichen »Napier Daily Telegraph« hatten einen Preis
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