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Die Möwe Jonathan

Die Möwe Jonathan

Titel: Die Möwe Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Bach
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Flügelspitze berührt. Er hat ihn zum Leben erweckt.»
    «Nein. Er leugnet seine göttliche Herkunft. Er ist der Teufel. Der Teufel, der die Gemeinschaft des Schwarms zerbrechen will.» Die Masse der Möwen fürchtete sich wegen der Dinge, die sich zugetragen hatten. Der Schrei Teufel lief wie ein Wind durch die Menge, brauste wie der Sturmwind vom Meer Augen starrten glasig, scharfe Schnäbel rückten enger zusammen. Mord drohte.
    «Möchtest du fort, mein Sohn?» fragte Jonathan.
    «Ja, es wäre wohl besser»
    Im selben Augenblick schwebten sie beide eine halbe Meile weit entfernt, und die scharfen Schnäbel des Pöbels stachen ins Leere. «Warum ist es nur so furchtbar schwer, einen Vogel von seiner Freiheit zu überzeugen sagte Jonathan sinnend. «Jeder ist frei und kann seine Freiheit nutzen - er muß sie nur üben. Ist das denn wirklich so schwierig?»
    Fletcher blinzelte, noch schwindlig vom raschen Wechsel der Umgebung. «Was hast du jetzt gemacht? Wie sind wir hierher gekommen?»
    «Du wolltest doch weg von diesem mordlustigen Pöbel?»
    «Gewiß, aber wie hast du...»
    «Wie? Genauso wie alles andere Fletcher. Es ist Übung.»
    Im Laufe des Morgens vergaß der Schwarm seine Tollheit wieder, doch Fletcher nicht. «Jonathan, erinnerst du dich, was du mir vor sehr langer Zeit einmal gesagt hast - daß man den Schwarm so sehr lieben muß, daß man zurückkehrt und ihm hilft?»
    «Sicher.»
    «lch begreife nicht, wie du einen Mob lieben kannst, der eben noch versucht hat, dich umzubringen.»
    «Oh, Fletcher, den Mob liebt man nicht! Man iebt nicht den Haß und das Böse, natürlich nicht. Du bist noch unerfahren, du mußt dich ständig bemühen, die wahre Möwe, den guten Kern in jeder einzelnen von ihnen, zu erkennen. Du mußt ihnen helfen, sich selbst zu sehen. Das meine ich mit Liebe. Hat man sie gefunden, dann macht alles Freude. Ich kannte einmal einen wilden jungen Vogel, der hieß Fletcher Lynd. Er war ausgestoßen aus seinem Schwarm, und er haßte seine Artgenossen deswegen und wollte sie bis auf den Tod bekämpfen. Und damit schuf er sich seine eigene bittere Hölle draußen auf den Fernen Klippen. Und heute ist er hier und ist dabei, sich seinen eigenen Himmel zu erbauen, weil er seinen Schwarm auf den richtigen Weg führen will.»
    Fletcher sah seinen Lehrer an. In seinen Augen blitzte sekundenlang die Angst auf.
    «Ich - sie führen? Was meinst du damit, daß ich sie führen soll? Du bist hier der Lehrer. Du könntest sie nicht verlassen.»
    «Könnte ich nicht? Zahllose Schwärme gibt es und zahllose ruppige Möwen wie einst jener Fletcher. Meinst du nicht auch, daß sie mich mehr brauchen als diese da, die schon unterwegs sind zum Licht?»
    «Aber ich? Jon, ich bin nur eine gewöhnliche Möwe, du...»
    «Bist ein Göttlicher, willst du sagen?» Jonathan seufzte und sah über das Meer hinaus. «Du brauchst mich nicht mehr. Was du brauchst, ist Selbstvertrauen. Finde zu dir selbst täglich ein wenig mehr Finde die wahre, unbegrenzt freie Möwe Fletcher Sie wird dein Lehrer sein. »
    Und Jonathans Körper flimmerte in der Luft, erstrahlte und wurde durchsichtig. «Laß nicht zu, daß sie dumme Gerüchte über mich verbreiten oder mich zum Gott erklären. Ich bin nur eine Möwe. Ich liebe das Fliegen, vielleicht...»
    «Jonathan! »
    «Mein armer Sohn. Trau deinen Augen nicht. Was immer sie dir zeigen, es ist nur Begrenztheit. Trau deinem Verstand, hebe ins Bewußtsein, was in dir ist, und du wirst wissen und fliegen.»
    Der Strahlenglanz erlosch. Die Möwe Jonathan hatte sich in Luft aufgelöst. Und ihr Schüler flog schwerfällig auf, wandte sich unter grauem Himmel heimwärts und nahm seine Pflicht bei neuen Schülern auf, die begierig auf ihre erste Lehrstunde warteten. Ernst und bedrückt begann er. «Ihr müßt vor allem verstehen, daß die Möwe die absolute Idee der Freiheit ist, das Abbild der Großen Möwe. Und der Körper ist von Flügelspitze zu Flügelspitze nichts weiter als der Gedanke selbst.» Die jungen Möwen blickten ihn unsicher an. Hallo, dachten sie, das klingt aber gar nicht nach Flugregeln. Fletcher seufzte und wollte noch einmal von vorn anfangen.
    «Ja - na schön», sagte er plötzlich und musterte sie kritisch. «Fangen wir mit dem Tiefflug an.» Und indem er das sagte, begriff er urplötzlich, daß sein Freund wahrhaftig nicht um ein Haar göttlicher gewesen war als er selbst. Keine Grenzen, Jonathan, dachte er. Die Zeit ist nicht mehr fern, da auch ich aus der

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